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Als ich unsichtbar war

Als ich unsichtbar war

Titel: Als ich unsichtbar war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pistorius Martin
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müssen, dass dies eine große Veranstaltung ist, als Mam und ich hier eintrafen und zu einem Büfett mit mehr Gerichten eingeladen wurden, als ich je gesehen habe. Die Aussicht, genau das auswählen zu können, was ich essen wollte, war fast zu viel für mich, und der steife Sahnepudding, mit dem ich meine Mahlzeit abschloss, liegt mir jetzt noch schwer im Magen, während ich auf die vielen Zuhörer starre.
    Munyane lächelt. »Alles ist bereit. Bist du es auch?«, flüstert sie.
    Ich drücke auf den kleinen Hebel, der meinen neuen elektrischen Rollstuhl in Gang setzt, und gleite in die Mitte der Bühne. Wie Professor Alant vorausgesagt hat, bin ich durch das Fahrzeug weitaus unabhängiger geworden. Einen Monat vor meinem achtundzwanzigsten Geburtstag war ich zum ersten Mal in der Lage, endlich selbst zu bestimmen, wohin und wann ich mich bewegen wollte. Wenn ich vorhabe, die Straßen in der Umgebung des Hauses zu erkunden, in dem meine Eltern seit meiner Kindheit leben, dann kann ich es einfach tun.
    Den Rollstuhl bekam ich, nachdem ich auf einer Webseite, an der ich mich beteilige, einen offenen Brief veröffentlichte. Darin bat ich um Vorschläge, wie ich an ein solches Gefährt kommen könnte, denn meine Eltern waren nicht in der Lage, das Geld dafür aufzubringen. Im Laufe der letzten Monate habe ich Freunde in Ländern wie England und Australien gefunden, indem ich mich Internetforen angeschlossen habe und auf andere Menschen in der AAC -Gemeinde gestoßen bin. Es ist ein seltsames, aber beruhigendes Gefühl, zu wissen, dass ich jetzt an so vielen Orten Freunde habe. Die Gewissheit, über meinen Computer Menschen kennenzulernen, macht frei. Ich erkunde die Welt, und die Leute, denen ich begegne, sehen nicht meinen Rollstuhl: Sie kennen ausschließlich mich .
    Doch ich hatte nicht erwartet, dass das Internet derart einflussreich ist, wie es sich dann erwies, nachdem mein Brief von jemandem in Kanada gelesen wurde, der einen Verwandten hatte, der nicht weit von mir entfernt in Südafrika lebt. Kurz darauf teilte mir dieser mit, seine ›Round Table Group‹ sei bereit, mir mit einem Teil des Geldes, das man für wohltätige Zwecke gesammelt habe, einen neuen Rollstuhl zu kaufen. Mit Worten ist kaum zu beschreiben, wie dankbar ich bin, jetzt einen zu haben, obwohl ich nicht sicher bin, ob jeder in meiner Umgebung meine Begeisterung teilt.
    Meine ersten Versuche, das Ding unter Kontrolle zu bringen, waren durchaus beachtlich, als ich wie ein kleines Kind lernen musste, mich unabhängig zu bewegen. Ich knallte in Türen, stürzte von Bürgersteigen und fuhr ahnungslosen Spaziergängern über die Füße, als ich meine neu gefundene Freiheit ausgelassen zu genießen begann.
    Auch in anderer Hinsicht wurde ich unabhängiger. Meine Kollegin Kitty, eine Ergotherapeutin, entwickelte mit mir winzige Details, die mir in meiner Arbeitswelt Erleichterung verschaffen. So habe ich jetzt in meinem Büro eine neue Türklinke, sodass ich die Tür ohne fremde Hilfe öffnen kann. Außerdem trage ich Gewichte an meinen Handgelenken, um meine Muskeln zu stärken und den Tremor, das Muskelzittern, meiner Hände zu verringern. Ich gewöhne mich immer mehr daran, Joghurt zu trinken, was zur Folge hat, dass mich mittags niemand mehr füttern muss, und ich achte sorgfältig darauf, niemanden um Tee oder Kaffee zu bitten, denn ich bin entschlossen, niemandem zur Last zu fallen. Und was meine Kleidung betrifft, so trage ich heute eine Anzughose und ein Hemd mit Schlips. In Kürze hoffe ich meinen ersten Anzug zu bekommen.
    Das Leben ändert sich in vielen Bereichen, doch vielleicht ist nichts so furchterregend wie dies hier. Ich blicke wieder auf die Zuhörer hinab und zwinge mich, tief durchzuatmen. Die Hände zittern, und ich befehle ihnen, die Kontrolle über meinen Laptop zu übernehmen. Indem ich den Kopf langsam nach links neige, richte ich den Infrarotstrahl meiner Kopfmaus auf den Bildschirm und klicke auf einen Schalter.
    »Ich möchte Sie alle bitten, für einen Moment innezuhalten und sich ganz real vorzustellen, Sie besäßen keine Stimme und keine Möglichkeit zu kommunizieren«, sagt meine Computerstimme. »Sie wären nicht in der Lage, ›Das Salz, bitte!‹ zu sagen oder jemandem wirklich wichtige Dinge wie ›Ich liebe dich!‹ mitzuteilen. Sie können niemandem vermitteln, dass Sie unbequem sitzen, frieren oder Schmerzen haben. Nachdem ich erstmals festgestellt hatte, was mit mir geschehen war, machte ich eine Phase durch,

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