Als ich unsichtbar war
in der ich mich aus Frustration über das Leben, in dem ich mich wiederfand, selbst hätte bestrafen mögen. Danach gab ich einfach auf. Ich wurde vollkommen passiv.«
Ich kann nur hoffen, dass den Zuhörern durch die Pausen, die ich in meinen Vortrag einprogrammiert habe, geholfen wird, meinen Ausführungen zu folgen. Es ist mühsam, einer synthetisierten Rede zuzuhören, wenn man an Stimmen gewöhnt ist, die Pausen haben, sich heben und senken. Doch jetzt kann ich nichts mehr ändern. Im Saal herrscht absolute Stille, als ich berichte, wie ich Virna kennengelernt habe und meinen ersten Tests unterzogen wurde, wie die Jagd nach einem Kommunikationsgerät verlief und der schwarze Kasten abbestellt wurde. Danach geht es um die monatelange Erforschung der Computersoftware, die Erbschaft meines Großvaters GD , die es meinen Eltern erlaubte, das Equipment für mich zu kaufen, und die Arbeit, die ich investierte, um das Kommunizieren zu lernen.
»2001 befand ich mich in einem Tagesheim für mental und physisch hochgradig Behinderte«, sage ich. »Vor achtzehn Monaten wusste ich noch nichts über Computer, konnte weder lesen noch schreiben und hatte keine Freunde. Heute kann ich mit über einem Dutzend Computerprogrammen operieren, habe mir selbst Lesen und Schreiben beigebracht und besitze gute Freunde und Kollegen an meinen beiden Arbeitsplätzen.«
Ich starre auf die Reihen von Gesichtern vor mir. Ich frage mich, ob es mir jemals gelingen wird, anderen Menschen meine Erfahrungen zu vermitteln. Sind Worte nicht viel zu limitiert? Führen sie uns nur bis zu einem Ort, hinter dem es ein Niemandsland der Unbegreiflichkeit gibt? Ich bin mir nicht sicher. Doch ich muss zumindest hoffen, den Menschen irgendwie helfen zu können, dass sie es verstehen, wenn sie denn bereit dazu sind. So viele Blicke sind auf mich gerichtet, Hunderte Augenpaare, und mein Herz klopft wie wild, während mein Computer weiter für mich spricht.
»Mein Leben hat sich dramatisch verändert«, sage ich. »Dennoch lerne ich immer noch, mich daran zu gewöhnen, und obwohl mir gesagt wird, ich sei intelligent, kämpfe ich damit, es selbst zu glauben. Meine Fortschritte beruhen auf harter Arbeit und dem Wunder, dass mir widerfuhr, als Menschen an mich glaubten.«
Ich schaue mich ängstlich im Saal um und stelle fest, dass niemand auf seinem Sitz herumrutscht oder gähnt. Alle sind total ruhig und lauschen.
»Kommunikation ist eines der Dinge, die uns zu Menschen machen«, sage ich. »Und ich habe die Ehre, die Chance bekommen zu haben, mich ihrer zu bedienen.«
Dann schweige ich. Meine Rede ist beendet. Ich habe alles gesagt, was ich diesem Saal voller fremder Gesichter sagen wollte.
Für den Bruchteil einer Sekunde herrscht im Auditorium Schweigen. Ich starre nach unten und weiß nicht, was ich tun soll. Doch dann vernehme ich ein Geräusch – das Geräusch klatschender Hände. Anfangs ist es noch verhalten, aber jetzt wird es lauter und lauter, und ich beobachte, wie erst ein Zuhörer, danach der nächste aufsteht. Einer nach dem anderen erhebt sich die Menge. Ich starre in die Gesichter vor mir, die Leute lächeln und lachen, während sie klatschen, derweil ich mitten auf der Bühne sitze. Das Geräusch wird immer lauter. Bald ist es so stark, dass ich das Gefühl habe, es wolle mich verschlingen. Ich starre auf meine Füße und wage kaum zu glauben, was ich höre und sehe. Schließlich bediene ich den Hebel meines Rollstuhls und fahre zur linken Seite der Bühne.
»Mr Pistorius?«
Die Frau, die meine Rede in Gebärdensprache für Taube im Auditorium übersetzt hat, steht vor mir.
»Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Sie eine Inspiration sind«, sagt sie hastig. »Sie sind wirklich ein außerordentlicher Mensch. Das durchgemacht zu haben, was Sie erleben mussten, und dabei so positiv zu bleiben, ist ein Vorbild für uns alle.«
Ich höre, wie aufgewühlt sie ist, und ich sehe, wie sich die Intensität ihrer Gefühle in ihren Gesichtszügen widerspiegelt. Die Worte sprudeln aus ihr heraus, und ihre Emotionen kommen in Wellen.
»Danke, dass Sie uns Ihre Geschichte erzählt haben«, sagt sie. »Ich fühle mich geehrt, dabei gewesen sein zu dürfen.«
Bevor ich antworten kann, kommt jemand anderes, um mir zu gratulieren, dann ein anderer, und noch andere – so viele Gesichter starren auf mich herab, lachende und lächelnde Gesichter.
»Sie waren wunderbar!«
»So inspirierend!«
»Ihre Geschichte ist einfach verblüffend.«
Ich weiß
Weitere Kostenlose Bücher