Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
Vom Netzwerk:
andere Dinge im Kopf, als in der Wildnis zu leben.
    Unsere Abreise zog sich hin. Mein Vater arbeitete seit vielen Jahren an einem groß angelegten und ehrgeizigen Projekt, einem mehrbändigen Werk über die Lebensformen der Tiere und Pflanzen, das er unbedingt vor dem Umzug in den Urwald abschließen wollte. Meine Mutter, die eine fantastische Zeichnerin war und das Skizzieren von Tieren in jeglicher Bewegung perfekt beherrschte, sollte die mehr als 60 0 Illustrationen dazu beisteuern. Beide arbeiteten fieberhaft. Mir war es recht, ich hatte es nicht eilig mit der Abreise. Aber wir hatten bereits das Humboldt-Haus aufgegeben und mussten sogar noch für einige Monate in eine kleine, teure Übergangswohnung direkt über einer lauten Durchgangsstraße ziehen, bis wir endlich aufbrechen konnten.
    Es wurde dadurch zu einem langen Abschied aus der Stadt, der meine Eltern viele Nerven kostete. Vor allem mein Vater war völlig fertig und die Stimmung oft angespannt.
    Die Auflösung des Humboldt-Hauses, in dem meine Eltern alles in allem rund 2 0 Jahre gelebt hatten, war eine langwierige Aktion. Was hatte sich im Laufe der Zeit nicht alles angesammelt! Im großen Arbeitszimmer meiner Eltern wurde wochen-, nein monatelang alles Mögliche aussortiert, zum Teil weggeworfen und das, was man behalten wollte, verpackt. Nicht weniger als 20 0 Kisten wurden auf diese Weise gefüllt. Aber natürlich konnten und wollten meine Eltern bei Weitem nicht alles mit in den Urwald nehmen. Und so wurde ein ausgeklügeltes System erarbeitet, wo was untergestellt oder ausgeliehen werden sollte.
    Ich erinnere mich noch gut an diese Wochen voller fieberhafter Tätigkeit. Neben ihrer üblichen Arbeit packten meine Eltern Kartons, mein Vater zimmerte eine Kiste nach der anderen, meine Mutter legte detaillierte Listen über deren Inhalt an. »Ohne diese Listen«, sagte sie oft zu mir, »sind wir verloren, Juliane. Nur so werden wir jemals irgendetwas wiederfinden.«
    Der erste Umzugswagen fuhr im Dezember 1967 zum Museum, dem meine Eltern Möbel für ein Gästezimmer liehen und wo sie eine Menge Kisten unterstellen konnten. Unser letztes Weihnachten feierten wir auf meinen Wunsch im Humboldt-Haus in einer fast leeren Wohnung; nur das Wohnzimmer war uns geblieben, wo wir unter einem besonders schönen Christbaum Bescherung hielten. Wir füllten den Keller meines Patenonkels mit einigen unserer Kisten, und eine andere befreundete Familie bot ebenfalls an, rund 5 0 Kartons für uns aufzubewahren. Und dennoch stand in der kleinen Übergangswohnung alles voll.
    Und wie es oft so ist bei einem großen Schritt, sollte sich unsere tatsächliche Abreise noch ein halbes Jahr hinziehen. So viele Dinge gab es für meine Eltern noch zu klären, so viele Projekte abzuschließen. Schließlich wurde all unser verbliebenes Gepäck samt Lobo und meinem Wellensittich Florian auf die Ladefläche eines gemieteten LKW gepackt, und am 9 . Juli 1968 ging es los.
    Ich saß mit meinem Schäferhund auf der Ladefläche unter einer Plane und sah zu, wie wir an Höhe gewannen und Lima, meine Freundinnen, meine Klasse, Alida und meine Paten samt all meinen Kindheitserinnerungen endgültig hinter uns zurückblieben. Ich spürte, dass dies ein entscheidender Einschnitt in meinem Leben sein würde, doch ich war zu jung, um zu ermessen, was es tatsächlich bedeutete. In meinen Adern floss dasselbe Abenteurerblut wie in meinen Eltern, und nachdem nun all der Trubel ums Ausräumen und Einpacken endlich vorüber war, freute ich mich auf das, was vor mir lag: zunächst auf die Fahrt, von der ich schon wusste, dass sie viele Tage lang währen sollte.
    Aufwärts ging es auf geschwungenen Straßen, die mitunter so schmal waren, dass wir mehr als einmal fürchten mussten, der LKW mitsamt seiner schweren Ladung würde über den Abgrund rutschen. Als es Abend wurde, befanden wir uns bereits in den Hochanden nicht weit vom Ticlio-Pass, und hier übernachteten wir alle auf rund 400 0 Meter Höhe auf dem Lastwagen. In einem Brief an meine Großmutter und meine Tante schrieb ich später: »Es war ziemlich kalt. Lobo saß oben auf dem Lastwagen und war ganz verängstigt. Florian (meinem Wellensittich) ging es nicht besonders gut. Durch das Schaukeln des Autos wurde er seekrank, und manchmal dachte ich, er würde sterben.« Wahrscheinlich war er nicht nur see-, sondern auch höhenkrank geworden.
    Am zweiten Tag überquerten wir den Ticlio-Pass, und weiter ging die Fahrt über mehrere Pässe bis Tingo

Weitere Kostenlose Bücher