Als ich vom Himmel fiel
herrscht zeitweise ein Phlegma, das so manchen Europäer auf die Palme bringen kann. Ich befürchte fast, auch auf dieser Reise werde ich wohl damit konfrontiert werden. Schließlich habe ich mit meinem Ziel, Panguana zum Naturschutzgebiet erklären zu lassen, eine ganze Menge auf Ämtern und Behörden zu regeln. Auch darüber spreche ich mit unserem Freund Alwin Rahmel. Wie immer hilft er mir dabei, mich durch den einzigen »Dschungel« durchzukämpfen, vor dem ich mich wirklich manchmal fürchte: dem der Burrocracia .
Schließlich brechen wir auf. Wir sind müde von der langen Reise, müssen uns erst an die Zeitumstellung gewöhnen. Als wir beim Hotel ankommen, hält Alwin auf einmal inne.
»Hast du das bemerkt?«, fragt er mich.
Mein Mann und ich sehen uns fragend an. Was Alwin wohl meint?
»Das war ein kleiner Erdstoß.«
Richtig. Ein fast unmerklicher Ruck. Dann ist alles wieder wie vorher. Es war, als sei für einen winzigen Moment die Zeit gerissen.
»Aber das war ja gar nichts«, beruhigt mich Alwin gleich wieder.
Dabei bin ich das von Kindesbeinen an gewöhnt. An der peruanischen Küste schieben sich nämlich zwei tektonische Platten übereinander, und die Folge davon sind immer wiederkehrende Erdbeben. So ein Beben ist ein beängstigendes Erlebnis. Zuerst hört man ein Geräusch, das sich nicht in unseren Erfahrungsschatz einordnen lässt. »Die Erde grummelt«, sagen wir, und besser lässt es sich kaum ausdrücken. Wenn sie dann erzittert, wird man orientierungslos. Das liegt daran, dass unsere Sinne mit dieser Aufhebung geltender physikalischer Regeln nicht zurechtkommen. Auch andere Staaten Südamerikas werden immer wieder von Erd- und Seebeben heimgesucht. Erst kürzlich traf es Perus Nachbarstaat Chile schwer.
An zwei besonders heftige Beben erinnere ich mich gut. Das eine fand 1967 statt, da war ich 1 3 Jahre alt. Ich war allein zuhause und säuberte gerade meinen Tuschkasten, als es begann. Zuerst war da eine starke vertikale Bewegung, der Boden hob und senkte sich, ja vibrierte unter meinen Füßen. Das war schon beunruhigend genug. Doch dann geriet die Erde in schlingernde Bewegungen, der Boden schwang quasi seitwärts, und das war ganz besonders fürchterlich. Die Menschen gerieten in Panik, ich hörte sie schreiend auf die Straße laufen, und auch ich war versucht, es ihnen gleichzutun. Mir wurde bewusst, dass ich allein war, und so mit dieser Naturgewalt konfrontiert zu sein, ganz auf mich gestellt, das war schon ein spezielles Erlebnis. Statt auf die Straße zu laufen, erinnerte ich mich jedoch daran, was meine Eltern mir für solche Fälle eingeschärft hatten, dass es nämlich besser sei, im Haus zu bleiben und sich unter einen Türsturz zu stellen. Dort, wo die Decke verstärkt wurde, ist man viel sicherer als auf offener Straße, wo einen möglicherweise ein Dachziegel oder eine einstürzende Mauer erschlagen kann. Jenes Beben hatte die Stärk e 6,8 und dauerte ziemlich lange. Zum Glück passierte in unserer Gegend nicht viel, und ich kam mit dem Schrecken davon.
In der Zeit zwischen meinem achten und zwölften Lebensjahr machten meine Eltern mehrere Expeditionen nach Yungay, einem Städtchen in einer der schönsten Gegenden der Cordillera Blanca, und dabei nahmen sie mich oft mit. Wir zelteten in einem berühmten Tal namens Callejón de Huaylas, und ich kann mich noch gut an das eiskalte Wasser des Gletschersees erinnern, in dem ich mich waschen musste, und an die herrlichen Farben des Sonnenuntergangs auf den Schneehängen der nahen Sechstausender. Dort gab es riesige Steine in bizarren Formen, und darunter war einer, der mir besonders gut gefiel. Er sah aus wie eine gigantische, aufgerichtete Streichholzschachtel, und darum nannte ich ihn den Streichholzschachtelstein. Ganz oben wuchsen Pflanzen, und das beeindruckte mich tief.
1970 wurde diese Gegend von einer mächtigen Naturkatastrophe heimgesucht. Ein Beben der Stärk e 7 sorgte dafür, dass ein großes Stück des Gletschers abbrach, talwärts in den See stürzte und ihn zum Durchbrechen brachte. Riesige Schlammlawinen verschütteten daraufhin mehrere Ortschaften vollständig. Nur die Spitzen der Palmen auf der Plaza de Armas des Städtchens Yungay ragten aus der Schlammwüste noch heraus. Alle Bewohner wurden unter den Lawinen begraben, bis auf eine Schulklasse und deren Lehrerin, die zur Unglückszeit gerade einen Ausflug auf den höher gelegenen Friedhof machten. Als das Beben stattfand, lebten meine Eltern und ich schon
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