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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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Sturzflug erlebe ich, als währte er nicht länger als die Zeitspanne eines Wimpernschlags, denn von einem Augenblick auf den anderen verstummen die Schreie der Menschen, wie ausradiert ist das Dröhnen der Turbinen, meine Mutter ist nicht mehr an meiner Seite, und ich bin nicht mehr im Flugzeug. Ich befinde mich zwar immer noch angeschnallt auf meiner Sitzbank, aber ich bin allein.
    Allein. In 300 0 Metern Höhe allein. Und ich falle.
    Gegenüber dem Lärm, der eben noch herrschte, sind die Geräusche meines freien Falles geradezu leise. Ich höre das Rauschen der Luft, das meine Ohren erfüllt. Ich bin mir heute nicht sicher, ob ich lückenlos bei Bewusstsein blieb, wahrscheinlich nicht. Vermutlich dauerte der Sturzflug in der Maschine viel länger, technischen Berechnungen zufolge sogar zehn Minuten. Überhaupt kann ich mich erst nach einigen Wochen an diese Tatsache des Sturzflugs erinnern, zunächst erlebe ich ihn in meinen Alpträumen, bis die Erinnerung wiederkehrt. Auch weiß ich bis heute nicht, wie ich auf einmal außerhalb des Flugzeugs sein konnte.
    Werner Herzog hat in seinem Text »Schwingen der Hoffnung« in dem Buch »Höllenfahrten« geschrieben: » … nicht sie hat das Flugzeug verlassen, sondern das Flugzeug sie«, und das trifft es genau. Ich hing mit meinem Gurt im Sitz, und um mich war nichts. Was damals genau passiert ist, darüber ist viel spekuliert worden. Sehr wahrscheinlich ist das Flugzeug nach dem Einschlag des Blitzes einfach in viele Teile zerbrochen. Wir saßen vermutlich an einer der Bruchstellen, und unsichtbare Kräfte schleuderten mich auf dem Sitz hinaus, mitten in die tobenden Elemente. Wie genau das geschehen ist und was dabei mit meiner Mutter passierte, das werde ich wohl niemals erfahren.
    Aber ich erinnere mich daran, dass ich falle. Ich falle, und der Gurt schnürt mir den Bauch so stark ab, dass es wehtut und ich keine Luft bekomme. In diesem Moment wird mir glasklar bewusst, was gerade passiert. In meinen Ohren das Brausen der Luft, durch die ich mich nach unten bewege. Noch ehe ich Angst empfinden kann, verliere ich erneut das Bewusstsein. Als Nächstes erinnere ich mich, mit dem Kopf nach unten zu hängen, während der Urwald in langsam kreiselnden Bewegungen auf mich zukommt. Nein, nicht er kommt auf mich zu, sondern ich auf ihn. Die Baumkronen, grasgrün, dicht an dicht, erinnern mich an Brokkoliköpfe. Die Bilder sind verwischt, ich sehe alles wie durch einen Nebel. Dann umfängt mich wieder tiefe Nacht.
    Ich träum e …
    Es ist immer derselbe Traum, eigentlich sind es zwei, die ineinander verwoben sind; wie in einem Kaleidoskop wechsle ich während des Schlafens von einem in den anderen. Im ersten dieser Träume rase ich in niedriger Höhe wie verrückt durch einen dunklen Raum, immerzu rase ich an der Wand entlang, ohne an sie zu stoßen. Dabei habe ich ein brausendes, dröhnendes Geräusch in den Ohren, ganz so, als sei ich selbst mit einem Motor ausgestattet. Im zweiten Traum habe ich das dringende Bedürfnis, mich zu waschen, weil ich mich vollkommen schmutzig fühle. Ich habe das Gefühl, mein ganzer Körper klebt und ist voller Morast, und ich muss unbedingt baden. Und dann denke ich in meinem Traum: »Das ist doch ganz leicht. Du musst einfach nur aufstehen. Nur aufstehen und zur Badewanne gehen. Es ist ja gar nicht weit.« Und in dem Augenblick, als ich im Traum den Entschluss fasse aufzustehen, da wache ich auf. Ich begreife, dass ich mich unter meiner Sitzbank befinde. Mein Gurt ist gelöst, also muss ich zwischendurch schon einmal wach gewesen sein, auch bin ich offenbar noch tiefer unter die schützenden Rückenlehnen des Dreiersitzes gekrochen. Fast wie ein Embryo lag ich dort den restlichen Tag und eine ganze Nacht bis zum nächsten Morgen, vollkommen durchweicht, voller Schlamm und Erde, denn es muss einen Tag und eine Nacht lang in Strömen geregnet haben.
    Ich schlage die Augen auf, und mir ist sofort klar, was geschehen ist: Ich bin abgestürzt und befinde mich mitten im Urwald. Nie werde ich das Bild vergessen, das ich sah, als ich meine Augen öffnete: die Wipfel der Urwaldriesen und goldenes Licht, das alles Grün in vielen Farbnuancen zum Leuchten bringt. Für alle Zeiten wird dieser Anblick in meiner Erinnerung eingebrannt bleiben wie ein Gemälde. Schon diese ersten Eindrücke zeigen mir einen Wald, wie ich ihn von Panguana her kenne. Angst empfinde ich nicht. Aber ein grenzenloses Gefühl der Verlassenheit. Und mit übergroßer

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