Als ich vom Himmel fiel
mit der Mittleren Reife in Deutschland, und natürlich wollte ich weiter zur Schule gehen und das deutsche Abitur machen.
Der Zufall wollte es, dass meine Mutter bereits im November nach Lima kam, weil sie einiges in der Hauptstadt zu besorgen hatte. Am liebsten wäre sie schon am Tag vor dem Heiligen Abend zurück nach Pucallpa geflogen, um möglichst bald wieder bei meinem Vater zu sein. Die Reise dauerte damals trotz des Fluges von Lima nach Pucallpa, der uns viel Zeit ersparte, mehrere Tage, je nach Wasserstand der Flüsse, je nach Zustand der Pisten und je nachdem, wie schnell man ein Boot fand.
»Wollen wir nicht schon früher fliegen?«, fragte sie mich. »Du hast doch keinen Unterricht mehr.«
Ich machte ein erschrockenes Gesicht. Denn am 23 . Dezember fand die feierliche Zeugnisübergabe statt und am Abend zuvor das erste richtig große und wichtige Fest meines Lebens: die »Fiesta de Promoción«, der Schulabschlussball. Wochenlang hatte ich mir mit Deutschnachhilfestunden das Geld für mein erstes langes Kleid zusammengespart. Es hatte ein elegantes blaues Muster, Puffärmel und war ein wenig ausgeschnitten. Auch einen Begleiter hatte ich schon, der Verwandte einer Schulfreundin, denn zu so einer Gelegenheit ging man damals nicht ohne Tischherrn. Nicht alle meiner Klassenkameraden wollten das Abitur machen, und darum war dieser festliche Schulabschluss unglaublich wichtig für mich, es war ein Abschied von vielen meiner Freunde. Ich war ein Mädchen, in dessen Jugend es nicht besonders viele gesellschaftliche Highlights gegeben hatte, und darum bat ich meine Mutter inständig, an diesem Fest teilnehmen und auch die Zeugnisübergabe am 23. miterleben zu dürfen. Natürlich verstand sie mich.
»Na gut«, meinte sie, »dann fliegen wir eben am 24.«
Meine Mutter versuchte, einen Flug mit der zuverlässigen Linie Faucett zu bekommen, doch die war ausgebucht. Die einzige andere Linie, die an jenem Tag nach Pucallpa flog, war die LANSA, die Líneas Aéreas Nacionales S . A., eine Fluggesellschaft, die bereits zwei Maschinen durch Abstürze verloren hatte. Es gab ein geflügeltes Wort, das lautete: »LANSA se lanza de panza«, was so viel bedeutet wie: »LANSA landet auf dem Bauch«. Mein Vater hatte meiner Mutter extra noch eingeschärft, nicht mit dieser Linie zu fliegen. Doch die Alternative wäre gewesen, noch ein oder gar zwei Tage länger zu warten. Und dazu hatte meine Mutter keine Geduld.
»Ach«, sagte sie, »es wird ja nicht jede Maschine abstürzen.«
Und so buchte sie für uns zwei Plätze in dieser Maschine. Was wir nicht wussten: Es war das letzte Flugzeug, das die LANSA überhaupt noch besaß. Alle anderen waren bereits abgestürzt, eine hatte sogar eine ganze Schulklasse an Bord gehabt. Nur ein Copilot hatte dieses Unglück schwer verletzt überleb t …
Am Abend unseres zweiten Tages in Lima packen mein Mann und ich schon wieder die Koffer. Ja, ich gebe zu, ich bin aufgeregt. Voller Vorfreude auf Panguana, ich kann es kaum erwarten, endlich wieder dort zu sein. Ich freue mich auf den Wald, die Tiere darin, die vertrauten Geräusche, den Geruch, das Klima. Auch wenn einem vom ersten bis zum letzten Moment die Bluse am Körper klebt und man einfach nur schwitzt, von morgens bis abends. Auch wenn der Weg dorthin noch immer mühsam ist, es ist aber kein Vergleich zu dem, was wir damals auf uns nehmen mussten, um dorthin zu gelangen. In meine Vorfreude mischt sich allerdings auch ein anderes Gefühl, und ich weiß, dass es mich niemals verlassen wird, vor allem nicht vor einem Flug von Lima nach Pucallpa, jener einen Strecke, die mein Leben so entscheidend verändern sollte. Wenn es für mich ohnehin schon nicht leicht ist, in ein Flugzeug zu steigen, dann fällt es mir am schwersten, gerade diesen Flug zu wiederholen. Doch ich werde mich zusammenreißen. Kollegen, die uns nach Panguana begleiten und dort ihre Forschungsarbeiten vorantreiben, scherzen mitunter, dass es wohl kaum eine sicherere Art gibt, als mit mir gemeinsam zu fliegen. Gelte es doch als äußerst unwahrscheinlich, dass ein und derselbe Mensch zweimal abstürzt. Ich jedoch kenne Beispiele, bei denen das durchaus der Fall war. Doch an die will ich heute nicht denken.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker früh. Wie damals ist unser Flug auf sieben Uhr angesetzt. Während wir uns eilig fertig machen und uns zum Flughafen fahren lassen, ist alles wieder da. Es ist vier Uhr in der Frühe, und wie damals fühle ich mich
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