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Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
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genauso überrascht wie uns Passagiere. Das Flugzeug war bereits in den Landeanflug auf Pucallpa gegangen. Ich weiß natürlich nicht, ob die Piloten überhaupt eine andere Wahl hatten, auf alle Fälle steuerten sie die Maschine mitten in das Unwetter hinein.
    Da war auch ein Holzfäller, der sich während des Unglücks im Wald aufhielt und sagte, er habe einen lauten Knall gehört, wie eine Explosion. Später, als die Rettungstruppen nach dem verunglückten Flugzeug suchen, wird er es dem befehlshabenden Kommandanten berichten. Doch man glaubt ihm nicht. Zu viele Hinweise aus der Bevölkerung, die sich als falsch erwiesen, haben die Suchtruppen misstrauisch gemacht. Ist es Schicksal, dass ebenjener Holzfäller namens Don Marcio später bei meiner Rettung eine entscheidende Rolle spielen wird?
    Was mich seither am meisten beschäftigt und andere Menschen offenbar auch, das ist die Frage, wie um alles in der Welt ich meinen Sturz aus drei Kilometer Höhe mit so geringen Verletzungen überstehen konnte. Denn wenn sich auch später herausstellen sollte, dass ich weit schwerer verwundet war, als ich es nach meinem Erwachen wahrnahm, so waren meine Verletzungen lächerlich im Vergleich zu der Schwere meines Sturzes. Außer dem Schlüsselbein hatte ich nichts gebrochen, und auch meine Fleischwunden waren überschaubar. Wie konnte das sein? War es ein Wunder? Oder gibt es eine rationale Erklärung dafür?
    Im Gespräch mit Werner Herzog habe ich später über drei Erklärungstheorien nachgedacht, und wahrscheinlich verdanke ich mein Überleben einer Kombination aus allen dreien:
    Zum einen ist bekannt, dass in besonders ausgedehnten Gewitterwolken heftige Aufwinde herrschen, die alles nach oben treiben und durchaus einen Menschen beim Herabfallen auffangen und möglicherweise sogar emporwirbeln könnten. Solche Aufwinde könnten meinen Sturz abgemildert haben. Dann war es ja so, dass ich während der kurzen Zeitspanne, in der ich bei Bewusstsein war, das Gefühl hatte, der Regenwald käme in Kreisen auf mich zu.
    Also nehme ich an, dass ich einfach trudelte, so wie ein Ahornsamen beim Fallen kreiselt. Und so wie das Flügelchen am Ahornsamen für dieses Kreiseln verantwortlich ist, könnte der Dreiersitz, an dessen einem Ende ich am Gurt festhing, über mir gewirkt und meinen Fall verlangsamt haben. Außerdem erzählte mir ein Mann, der bei der Bergung der Leichen dabei war, dass nur eine einzige sehr gut erhaltene Sitzbank gefunden wurde, und zwar an einer Stelle im Wald, über der die Urwaldriesen durch ein dichtes Geflecht von Lianen miteinander verbunden waren. Vielleicht hatte es sich dabei um »meinen« Sitz gehandelt? Jedenfalls könnte dieses Lianengewirr den Sturz abgefedert und verlangsamt haben, wahrscheinlich hat es sogar dafür gesorgt, dass der Dreiersitz wieder unter mich geriet und ich dann so wie in einem Boot durch die Lianen und Baumäste hindurchfiel und relativ sanft auf dem Urwaldboden landete. Denn wäre ich ungeschützt auf eine der Baumkronen geschlagen, dann hätte ich den Aufprall mit Sicherheit nicht überlebt.
    Das alles leuchtet ein. Und dennoch bleibt da ein Rest. Etwas Unerklärliches. Ein großes Staunen. Viele Menschen fragten mich seither, wie es kam, dass ich nicht aus lauter Angst gestorben bin während meines freien Falls. Aber die Wahrheit ist, merkwürdigerweise empfand ich überhaupt keine Angst. Noch während ich stürzte und bei vollem Bewusstsein den Urwald unter mir kreisen sah, war mir ja sogar vollkommen bewusst, was gerade mit mir passierte. Vielleicht waren meine bewussten Momente zu kurz, um überhaupt Angst bekommen zu können, aber ich glaube viel eher, dass wir eine Art eingebaute Sicherung in uns tragen, die uns in solchen extremen Augenblicken davor bewahrt, vor Angst verrückt zu werden oder gar zu sterben. Meine Erfahrung ist: Wenn man mittendrin ist in einem furchtbaren Geschehe n – und je ungeheuerlicher es ist, desto meh r –, dann lässt man einfach los. Der Schrecken kommt hinterher, so wie in der Geschichte des Reiters über den Bodensee, der erst am sicheren Ufer erkennt, über welch dünnes Eis er sein Pferd gejagt hat, und tot zu Boden sinkt.
    An jenem 25 . Dezember 1971, als ich mitten im Dschungel aus meiner langen Ohnmacht erwache, stecke ich noch mittendrin im Geschehen. Obwohl ich genau weiß, dass ich aus dem Flugzeug gestürzt bin, bewahren mich die schwere Gehirnerschütterung und wahrscheinlich auch ein tiefer Schock davor, einfach durchzudrehen.

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