Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als ich vom Himmel fiel

Als ich vom Himmel fiel

Titel: Als ich vom Himmel fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Koepcke
Vom Netzwerk:
betrachte ich das Ufer, das an mir vorbeigleitet, und unterhalte mich mit den Männern. Ich erfahre den Namen des Flusses, es ist der Río Shebonya, und er ist tatsächlich noch vollkommen unbesiedelt.
    Es dauert nicht lange, und weltweit sind die Zeitungen voll von den unglaublichsten Varianten der Geschichte meiner Rettung. Am tollsten ist jenes Märchen, ich hätte mir aus Zweigen und Blättern ein Floß gebaut, und damit sei ich den Río Shebonya hinuntergefahren. Indios hätten mich ohnmächtig auf ihm vorbeitreiben sehen und hätten das Floß an Land gezogen. Aus meiner Besinnungslosigkeit erwacht, hätte ich nur gesagt: »Es gibt Tote«, dann sei ich wieder in Ohnmacht gefallen. Einmal in die Welt gesetzt, schreiben Hunderte von Journalisten diese Version ab, selbst heute noch kann man das in Zeitungen oder im Internet lesen. Zu Recht erhielt ich Zuschriften, vor allem von vernünftig denkenden Kindern wie denen der ersten Klasse aus Warner Robins in den USA, deren Schüler unbedingt wissen wollten, wie ich es schaffte, mir ohne jedes Werkzeug ein Floß zu bauen. Und wie es kam, dass mein Floß aus Ästen und Blättern nicht unterging? Andere Berichte beschreiben meine Reise im Boot mit Don Marcio und Don Amado so: »Dann fiel sie in eine tiefe Ohnmacht.« Was nicht der Fall war, im Gegenteil, obwohl ich immer wieder wegdämmerte, bekam ich viel von der eintönigen Fahrt mit.
    Wir sind ewig unterwegs, und es dauert lange, bis wir endlich die Mündung des Río Shebonya in den Río Pachitea erreichen, an dessen Ufer die Siedlung Tournavista liegt. Mir wird klar: Alleine hätte ich das nie und nimmer geschafft.
    Gegen Mittag machen die Männer halt, um etwas zu essen. Wir gehen an Land zu einem Haus mitten auf einer Viehweide. Als ich komme, rennen einige Kinder schreiend davon, und eine Frau wendet sich entsetzt ab, die Hand vor den Mund gepresst: »Diese Augen! Ich kann das nicht sehen! Oh Gott, diese furchtbaren Augen!«
    Ich frage meine Begleiter: »Was hat sie denn? Was ist denn los mit meinen Augen?«
    Und da erklären sie mir, dass meine Augen vollkommen rot seien, offenbar sind alle Äderchen geplatzt, da sei nichts Weißes mehr, alles sei blutrot, auch die Iris habe sich rot verfärbt. Ich wundere mich, schließlich kann ich ganz gut sehen.
    Später werde ich in einen Spiegel sehen und den Schrecken der Frau durchaus verstehen. Es sieht tatsächlich so aus, als hätte ich gar keine Augen mehr, als seien da nur noch blutige Höhlen. Kein Wunder glauben diese Menschen hier, ich sei ein Urwaldgeist. Dennoch bekomme ich einen Teller Suppe, doch wieder kriege ich fast nichts hinunter.
    Gegen 1 6 Uhr legen wir in Tournavista an. Unsere Ankunft löst große Aufregung aus. Sofort wird eine Liege herangeschleppt, und das ist mir peinlich, schließlich kann ich doch alleine gehen!
    Die Krankenschwester, die mir entgegenkommt, kenne ich von früher. Sie heißt Amanda del Pino und hat mir einmal eine Tetanusspritze gegeben, damals, ehe ich nach Panguana kam. Jetzt will sie mir Penizillin verabreichen, aber ich wehre mich, denn mein Vater ist hochgradig allergisch gegen dieses Mittel, und ich weiß nicht, ob ich die Unverträglichkeit womöglich von ihm geerbt habe. Schwester Amanda lässt sich überzeugen und spritzt mir ein anderes Präparat.
    Alle sind sehr behutsam mit mir, behandeln mich wie ein rohes Ei. Irgendjemand macht ein Foto, das bald darauf in der amerikanischen Zeitschrift »Life« erscheinen wird, da stehe ich auf einer Veranda, man hat mir einen Bademantel über die Schultern gelegt, die Krankenschwester hält mich am Arm und schaut sehr besorgt. Sie stellt mir kaum Fragen, dennoch steht am anderen Tag ein Interview in der Zeitung, das ich jedenfalls nicht gegeben habe.
    Nachdem meine Wunden gereinigt und desinfiziert sind und ich die Spritze erhalten habe, erscheint eine amerikanische Pilotin, Jerrie Cobb, und bietet mir an, mich mit ihrem Flugzeug zum Instituto Linguístico de Verano nach Yarinacocha zu bringen, zu jenen Missionaren, die die Sprachen der Indianer erforschen und die Bibel übersetzen. Dort, sagt sie, gibt es einige Ärzte, ich könnte besser versorgt werden und mich in aller Ruhe erholen. Die Aussicht, schon wieder ein Flugzeug zu besteigen, macht mir zwar Angst, aber ich bin zu schwach, um energisch zu protestieren. Und wahrscheinlich, so denke ich, hat sie ja recht.
    Also befinde ich mich kurze Zeit später an Bord einer zweimotorigen »Islander«, und während mich Jerrie Cobb

Weitere Kostenlose Bücher