Als ich vom Himmel fiel
kümmern zu müssen. In Lima besuchten wir die Archive der beiden großen Zeitungen »La Prensa« und »El Comercio«. Hier sah ich Fotos von einem anderen Absturz der LANSA, jenem bei Cuzco, Bilder von Leichen auf einem Feld, die so entsetzlich waren, dass sie damals nicht veröffentlicht werden konnten. Durch den Aufprall waren die Körper zerschmettert, verzogen und verzerrt, und der Anblick schockierte mich außerordentlich, denn ich musste natürlich ständig an meinen eigenen Unfall denken und daran, in welchem Zustand wohl die Menschen gewesen waren, die nicht so viel Glück hatten wie ich.
Es war schon eine seltsame Reise, auf die mich der Regisseur mitnahm. Mich dazu zu überreden, 2 7 Jahre nach meinem Unfall wieder ein Flugzeug zu besteigen, das exakt dieselbe Strecke flog wie die, auf der ich verunglückte, war noch relativ einfach. Diesen Flug hatte ich inzwischen ja schon mehrfach unternehmen müssen, um zeitsparend in den Urwald zu kommen. Doch sogar auf denselben Platz setzte er mich, Reih e 19, Sit z F, derselbe wie in der LANSA-Maschine, aus der ich damals vom Himmel fiel. Eigentlich wäre ich lieber über die Anden gefahren, denn auch hier hatte sich viel verändert gegenüber meinen Jugendjahren, inzwischen brauchte man »nur noch« 2 0 Stunden von Lima bis Pucallpa. Aber Werner Herzog ist ein Mann mit großer Überzeugungskraft, und so sprang ich über meinen Schatten und stimmte zu, mit ihm zu fliegen. Heute bin ich froh darüber. Denn hätte mich der Filmemacher damals nicht hautnah mit diesem Teil meiner Vergangenheit konfrontiert und mich der Öffentlichkeit wieder näher gebracht, wer weiß, ob ich heute in der Lage wäre, so für Panguana einzustehen, vor allem auch vor größerem Publikum.
Also überwand ich meine Furcht. Und vor laufender Kamera überflogen wir die Stelle, an der es damals passierte. Werner Herzog nutzte diesen Moment natürlich und machte mit mir ein Interview: Ich erzählte genau an dieser Stelle, wie ich den Absturz erlebt hatte. Und zum Glück gelang es auf Anhieb so gut, dass wir es nicht wiederholen mussten. Mein Mann befand sich die ganze Zeit an meiner Seite, und das war für mich ungeheuer wichtig. Ich glaube, man kann in diesem Film erkennen, wie sehr wir einander eine Stütze sind, wie sehr wir füreinander da sind, wenn der andere es braucht.
Auf dem Weg von Pucallpa in den Urwald erlebte ich so manche Überraschung. Entlang der neuen Carretera Marginal de la Selva wurde überall der Wald gerodet, mit Säge und Feuer bahnte sich die Zivilisation ihren Weg in die Wildnis, und mir blutete das Herz, wusste ich doch ziemlich genau, wie viel Leben in den Flammen zugrunde ging. Inzwischen hatte man über den Río Shebonya, jenen Fluss, dem ich folgte, eine eiserne Brücke gebaut, und wenige Kilometer davor hatte eine Frau aus den Anden einen Kiosk eröffnet, wo wir haltmachten, um etwas zu trinken. Ich traute meinen Augen nicht, als ich sah, was sie an die Außenwand des Hauses gelehnt hatte: Es war doch tatsächlich eine völlig intakte Flugzeugtür der LANSA-Maschine, die wohl irgendjemand hierhergeschleppt hatte. Darauf hatte die Indiofrau in fehlerhaftem Spanisch geschrieben: »Julianas Tür«. Diese geschäftstüchtige Frau hatte offenbar gleich erkannt, welche magische Anziehungskraft dieses Relikt meiner Geschichte haben würde, und tatsächlich, mit wem ich darüber spreche, alle nennen diesen Kiosk, der inzwischen zu einem kleinen Lebensmittelladen mit Ausschank angewachsen ist, »Die Tür«. Natürlich filmte mich Werner Herzog dort, und wann immer ich seither hier vorüberkomme, sagen die Menschen, die mich begleiten: »Juliane, stell dich doch bitte mal kurz dahin«, und machen ein Foto. Noch immer berührt mich das eigenartig, es ist mir unangenehm, denn für mich ist das keine Touristenattraktion, sondern eine Tür, durch die 9 1 Menschen in den Tod schritten, einschließlich meiner Mutter. Nur ich habe überlebt. Und das beschäftigt mich seither sehr.
Jene Tür verändert sich ständig; jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, sieht sie anders aus. Da wird etwas dazugeschrieben, etwas übermalt. Zum Beispiel stand neulich darauf: »Dies ist die Tür, durch die Jhuliana sich rettete.« Was natürlich so nicht stimmt. Als die Inhaberin des Kiosks einmal hörte, dass sie meinen Namen falsch geschrieben hatte und das Datum nicht korrekt war, nahm sie mich beiseite und sagte: »Jetzt musst du mir mal aufschreiben, wie du wirklich heißt, damit ich das richtig
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