Als ich vom Himmel fiel
höllisch weh, denn die Maden im Innern meines Arms versuchen, nach unten zu fliehen und beißen sich noch mehr in mein Fleisch. Doch schließlich kommen sie an die Oberfläche. Dreißig Stück hole ich mit dem aufgebogenen Ring aus der Wunde, dann bin ich erschöpft. Später wird sich herausstellen, dass das noch längst nicht alle sind, doch fürs Erste bin ich ziemlich stolz auf meine Leistung.
Noch immer ist niemand gekommen. Es wird dunkel, und ich beschließe, hier zu übernachten. Zunächst versuche ich es auf dem Boden der Hütte, doch die Pona-Rinde ist derart hart, dass ich mir lieber ein Plätzchen im Ufersand suche. Ich leihe mir eine Plane aus, die ebenfalls in der Hütte liegt, decke mich mit ihr zu und schlafe so vor den Mücken geschützt in dieser Nacht göttlich, besser als in jedem Fünfsternehotel.
Am anderen Morgen wache ich auf, und noch immer ist niemand erschienen. Ich überlege, was ich tun soll. Vielleicht kommt hier die nächsten Wochen niemand her. Ich weiß, dass es solche Unterstände im Urwald gibt, die Fallensteller oder Holzfäller nur sporadisch nutzen. Vielleicht sollte ich wirklich weitergehen? Kurz nur überlege ich, das Boot zu nehmen, um damit flussabwärts zu fahren, doch erscheint es mir nicht richtig. Wer weiß, denke ich, vielleicht ist der Besitzer doch hier irgendwo im Wald, und wenn er wiederkommt, braucht er sein Boot. Ich kann unmöglich mein eigenes Leben retten und das eines anderen aufs Spiel setzen. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich in meinem geschwächten Zustand überhaupt in der Lage bin, das Boot diesen Fluss entlang zu manövrieren. Während ich so überlege und mich nicht entschließen kann, wieder in den Fluss zu steigen, wird es Mittag. Und dann beginnt es, in Strömen zu regnen. Ich verkrieche mich in dem Tambo, lege die Plane um meine Schultern, fühle nichts. Hin und wieder versuche ich, einen Frosch zu fangen, vergeblich.
Am Nachmittag hört der Regen auf, und mein Verstand sagt mir, dass ich weiter muss. Wider alle Vernunft bleibe ich einfach sitzen. Ich habe keine Kraft mehr, mich aufzuraffen. Noch einen Tag ruhe ich mich aus, denke ich, morgen gehe ich weiter. Verzweiflung wechselt sich ab mit Hoffnung, Antriebslosigkeit mit neuem Mut.
Ich denke, dass alle anderen sicherlich längst gefunden sind, nur ich bin noch unterwegs. Mir kommt der Gedanke, wie seltsam das doch ist, dass man einfach so irgendwo verschwinden kann, und niemand weiß davon. Das ist ein komisches Gefühl, es füllt meine Brust aus, zieht in den Eingeweiden. Dass ich jetzt hier womöglich sterbe, und niemals wird jemand wissen, was aus mir wurde. Keiner wird je erfahren, welch beschwerlichen Weg ich auf mich nahm, wie weit ich gekommen bin. Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich langsam aber sicher verhungere, zu lange habe ich nichts mehr gegessen. Ich dachte immer, wenn man verhungert, dann tut das furchtbar weh. Aber ich habe keine Schmerzen. Nicht einmal Hunger spüre ich. Ich bin nur so entsetzlich matt und kraftlos. Wieder versuche ich, einen der Frösche zu fangen. Wieder und wieder. So vergeht der Tag.
Es dämmert bereits, da höre ich plötzlich Stimmen. Ich kann das nicht glauben! Nach all der Zeit in Einsamkeit ist es für mich unfassbar. Ich denke, das bildest du dir ein, wie schon so vieles. Doch es sind wirklich menschliche Stimmen. Sie kommen näher. Und dann treten drei Männer aus dem Wald und bleiben erschrocken stehen, als sie mich erblicken, ja sie zucken unwillkürlich zurück. Ich beginne, auf Spanisch mit ihnen zu reden.
»Ich bin ein Mädchen, das mit der LANSA abgestürzt ist«, sage ich. »Mein Name ist Juliane.«
Da kommen sie näher und staunen mich an.
10 Die Rückkehr
Kapitelanfang
Es ist der 3 . Januar 1972. Einige der Angehörigen der LANSA-Passagiere haben resigniert. Die Hoffnung, zehn Tage nach dem Unglück noch Überlebende zu finden, schmilzt dahin. Die Suche nach dem vermissten Flugzeug wird offiziell eingestellt, nur die Patrouille aus Zivilisten und Angehörigen gibt noch nicht auf. Die zahlreichen Journalisten, die bereits an Weihnachten nach Pucallpa kamen und die Stadt seither belagert hielten, reisen a b – die Story scheint zu Ende. Mein Vater hält sich auf der Farm seines Bekannten Peter Wyrwich auf. Ob auch er sich mit der Tatsache abfindet, Frau und Tochter verloren zu haben?
Währenddessen kümmern sich Beltrán Paredes, Carlos Vásquez und Nestor Amasifuén, denn das sind die Namen der drei Waldarbeiter, die
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