Als ich vom Himmel fiel
mit der Information zu beruhigen versucht, sie sei die erste Frau der Welt, die eine Ausbildung als Astronautin habe, und mit ihr würde ich so sicher fliegen wie in den Armen eines Engels, finde ich nicht die Kraft, darauf zu bestehen, im Sitzen fliegen zu dürfen. Jerrie findet es sicherer, dass ich mich hinlege, und damit wird der 2 0 Minuten dauernde Flug an die Yarinacocha-Lagune für mich zur Qual. Vor allem, als Jerrie, die meine Angst offenbar nicht bemerkt, das Flugzeug so richtig in die Kurven legt.
Die »Linguisten«, wie die Missionare der »Wycliffe Bible Translators« in Yarinacocha allgemein genannt werden, empfangen mich herzlich. Die Familie des Arztes Lindholm nimmt mich auf, und gleich werde ich erneut medizinisch versorgt. Dr . Lindholm entfernt weitere Fliegenmaden aus meinem Arm und auch aus dem Schnitt am Bein, in den sich die Biester ebenfalls eingenistet haben. Das Loch im Arm ist tief, wie tief weiß man nicht genau, und darum erhalte ich jetzt die erste von zahllosen Behandlungen, bei denen ich die Zähne fest zusammenbeißen muss, um nicht laut zu schreien: Dr . Lindholm tränkt einen 5 0 Zentimeter langen Gazestreifen in Jodoform und stopft ihn tief in die Wunde. Dort muss er verbleiben, bis man ihn am nächsten Tag wieder herauszieht und durch einen neuen ersetzt. Nur so erreicht man, wird mir erklärt, dass die schlauchförmige Wunde sauber von innen nach außen verheilt. Dann zieht er mir einen ziemlich langen Holzsplitter aus einer Fußsohle, den ich nicht einmal wahrgenommen hatte. Am ganzen Körper habe ich Insektenstiche, die entzündet und aufgequollen sind, die werden jetzt ebenfalls behandelt.
Als ich das hinter mir habe, werde ich gefragt, was ich essen möchte. Ganz spontan sage ich: »Ein Hühnersandwich.« Zu meiner großen Freude macht man mir sofort eines, und ich verspeise es mit großem Appetit.
Ich bin in Sicherheit. Und mit dieser Gewissheit falle ich in einen tiefen Schlaf.
Im Restaurant wird unser Essen aufgetragen. Es ist ein wunderschöner Spätnachmittag, das Licht glitzert golden auf der vom Wind fein gekräuselten Dünung. Dort hinten, ein Stück weiter die Lagune hinauf, ruhte ich mich damals am linken Ufer im Haus des Dr . Lindholm aus. Heute sind nur noch wenige Linguisten da, schon als ich mit Werner Herzog herkam, hatten sie ihre Siedlung verkleinern müssen. Gerade erst vor wenigen Monaten, nachdem ein Interview mit mir von CNN ausgestrahlt wurde, schickte mir die Witwe jenes anderen Arztes, zu dem ich damals nach einigen Tagen umzog, Mrs. Fran Holston, ein Foto, auf dem ich mit ihren beiden Töchtern im Garten abgebildet bin. Man sieht mir meine elf Tage währende Odyssee auf diesem Bild kaum an; in Rock und Bluse, geliehenen Kleidern, lächle ich in die Kamera. Ich habe mich darüber gewundert, wie wenig ich empfunden habe beim Anblick dieser Fotografie, so als sei das Mädchen darauf jemand ganz anderes. Ähnlich ging es mir während der Dreharbeiten mit Werner Herzog zu dem Dokumentarfilm »Schwingen der Hoffnung«.
Noch heute erscheint es mir eine glückliche Fügung, dass damals im Jahr 1998 unser Telefon zuhause in München klingelte und sich ein Mann mit den Worten meldete: »Mein Name ist Werner Herzog, ich bin Filmregisseur. Ich würde gerne einen Dokumentarfilm über Ihr Schicksal drehen.«
Der Unfall lag inzwischen 2 7 Jahre zurück. Ich hatte nur wenig gute Erfahrungen mit Journalisten und Filmemachern zu verzeichnen und mich deshalb seit Jahren von allem zurückgezogen. Interviewanfragen lehnte ich damals kategorisch ab, Auftritte in Talkshows natürlich erst recht. Ich war es leid, mein Leben lang immer wieder dieselben Fragen gestellt zu bekommen und ausschließlich als kuriose Überlebende einer unglaublichen Geschichte wahrgenommen zu werden. Ich hatte inzwischen ein eigenes Leben, war seit neun Jahren verheiratet, und es gab meiner Meinung nach eine Menge Themen, die spannender waren, als wieder und wieder die Details des Absturzes durchzukauen. Zumal ich die Erfahrung gemacht hatte, dass, was immer ich auch erzählte, die Journalisten nicht zuzuhören schienen und am Ende doch das schrieben, was sie sich ohnehin schon gedacht hatten oder was die Leser ihrer Meinung nach hören wollten. Aber dann hatte ich auf einmal Werner Herzog am Telefon, der mit mir einen Film drehen wollte!
Offenbar spürte er mein Zögern, denn er sagte: »Wenn Sie sich über mich informieren möchten, dann können Sie im Internet über mich nachlesen.
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