Als ich vom Himmel fiel
machen kann.« Und das sind so Momente, da kommt alles in mir hoch. Ist es denn jetzt schon so weit, dass jemand derart direkt seine Geschäfte mit dem Schrecken von damals macht? Und dann sind sie auch wieder da, die Gefühle jener Tage, wenn auch nur für kurze Augenblicke.
Natürlich schlucke ich das alles schnell wieder runter. Denn die Menschen können nicht anders und meinen es natürlich nicht böse. Und ich merke, wie sehr ich doch inzwischen auch abgestumpft bin, vor lauter Rücksichtnahme, vor lauter Verständnis. Gab es eigentlich jemals eine Zeit, in der Raum war für meine ursprünglichen, ungebremsten, von der Vernunft unzensierten Gefühle? Diese Fragen beschäftigten mich damals, während ich mit Werner Herzogs Filmteam weiterfuhr nach Panguana.
In Panguana war ich 1 4 Jahre lang nicht mehr gewesen. Die Präsenz der Terrororganisation »Movimiento Revolucionario Túpac Amaru« in der Gegend hatte bis vor Kurzem jede Reise zum lebensgefährlichen Risiko gemacht. Inzwischen waren die ursprünglichen Häuser, in denen ich mit meinen Eltern gelebt hatte, verfallen. Im Auftrag meines Vaters hatte Moro ein neues Gästehaus bauen lassen: eine Holzhütte auf Stelzen wie alle Häuser hier im Regenwald, mit drei kleinen Zimmern und einer überdachten Terrasse. Jetzt konnte ich es zum ersten Mal in Augenschein nehmen. Mein Mann und ich kamen bei Moros Familie unter, der inzwischen seine Farm an den Rand des Panguana-Gelände verlegt hatte, um sich besser darum kümmern zu können. Und das nicht gerade kleine Filmteam schaffte es, sich in die Zimmer des Gästehauses und auf die Veranda zu schichten.
Wie viele Erinnerungen kamen wieder hoch! Der Fluss war immer noch derselbe, auch der Wald hatte sich glücklicherweise kaum geändert. Die Rufe der Vögel, die meine Mutter so eingehend studiert hatte, der wunderbare Lupuna-Baum, der mit seinen 5 0 Metern Höhe alle anderen bei Weitem überragt, die Schmetterlinge und anderen Insekten, alles erinnerte mich an jene Jahre, als meine Welt noch heil war. Damals wanderte ich wie im Traum durch diese Stätten meiner Kindheit, dankbar und erstaunt, dass ich mich noch immer genauso im Regenwald bewegen konnte, wie ich es als Kind gelernt hatte. »Es ist wie Fahrradfahren«, lachte mein Mann, »das verlernt man auch nie.«
Wir fuhren nach Puerto Inca, und dort trafen wir Don Marcio, der mich damals nach Tournavista gebracht hatte. Es war eine sehr bewegende Begegnung nach all den Jahren. Wie viele andere hatte auch Don Marcio mitgeholfen, für den Dokumentarfilm die Trümmer zu suchen. Einmal hatte er sich sogar allein auf den Weg gemacht. Dabei wurde er unglücklicherweise von einem Stechrochen verletzt. Der hieb seinen giftigen Stachel durch Don Marcios Gummistiefel hindurch und in die Ferse, sodass sein Fuß heftig anschwoll und sich entzündete. Fast wäre er durch diesen Vorfall im Urwald umgekommen, wäre nicht ein Boot vorbeigefahren. Doch da Don Marcio fast kein Geld bei sich hatte, wollten ihn diese Menschen nicht einmal mitnehmen. So bot er ihnen notgedrungen sein Gewehr an, im Urwald ein kostbares Gut, und damit ließen sie sich erweichen, den Verletzten auf ihr Boot zu nehmen.
Ich hatte von seinem Pech gehört und mit Werner Herzogs Hilfe das Gewehr zurückgekauft. Nun brachten wir es ihm wieder, als kleine Gegenleistung dafür, was er einst für mich getan hatte. Ich sagte bei dieser Begegnung: »Don Marcio, Sie haben mich damals gerettet!« Er aber schüttelte sein Haupt und meinte ernst: »Nicht ich, sondern Gott hat Sie gerettet, Juliana. Ich durfte nur seine Barke sein.«
Als wir mit dem Hubschrauber, der in Puerto Inca bereits auf uns wartete, losfliegen wollten, gab es eine Verzögerung. Denn der Pilot hatte bei einem früheren Flug festgestellt, dass auf der Lichtung, auf der wir landen sollten, die Bäume nicht niedrig genug abgeschnitten worden waren. Die Stümpfe ragten immer noch rund einen Meter auf, und das war lebensgefährlich. Also musste nochmals nachgeschlagen werden, dann erst konnten wir aufbrechen.
Ich war vorher noch nie mit einem Hubschrauber geflogen und fand das hochinteressant. Wie man sich damit einfach so senkrecht in die Höhe erheben und in der Luft quasi auf der Stelle »stehen« kann, das war für mich, die ich mich schon als kleines Mädchen für technische Dinge mehr interessierte als für Puppen, äußerst spannend.
Und dann landeten wir dort, mitten im Urwald, auf einer Hügelkuppe. Wir waren ein großes Team mit
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