Als könnt' ich fliegen
könne sie mich als Freundin abhaken. Damit hatte ich alles auf eine Karte gesetzt. Lisa machte zuerst ein empörtes Gesicht, und ich war sicher, alles verloren zu haben.
Dann sagte sie, das sei zwar Erpressung, aber ich werde schon einen Grund haben, ausgerechnet das von ihr zu verlangen. Und so schlimm sei es schließlich auch nicht, sich einfach mal mit diesem kleinen Wichser zu unterhalten. Auch das sagte sie wörtlich: kleiner Wichser! Aus ihrem Mund hörten sich diese Worte unheimlich komisch an. Ich hatte Mühe, mir ein Lachen zu verkneifen. Gleichzeitig war ich total erleichtert, dass meine Rechnung aufgegangen war. Zumindest bis hierher. Denn natürlich wollte ich Lisa nicht als Freundin verlieren. Ich hatte langsam angefangen, mich an sie zu gewöhnen. An ihre altklugen Sprüche und an ihr kleines, zickiges Gesicht. Außerdem schien mir, dass sie mich wirklich mochte.
Andererseits musste ich unbedingt wissen, was Tobias vor mir verheimlichte. Zuerst hatte ich noch geglaubt, es sei etwas, bei dem ich ihm helfen könne. Irgendein Problem, über das er nicht reden wollte, bei dem er aber Unterstützung gebrauchen könnte. Aber dann, mit der Zeit, war mein Misstrauen immer größer geworden.
Er musste einen sehr wichtigen Grund dafür haben, die Sache vor mir zu verheimlichen. Einerseits hatte ich zwar das Gefühl, dass es mir nicht guttun würde, dieses Geheimnis zu lüften, aber andererseits musste ich es tun. Ich hatte keine andere Wahl. Sonst würde ich mein Misstrauen nie loswerden. Natürlich war meine größte Hoffnung, dass ich mich täuschte. Leider tat ich das nicht.
Lisa fing Marco vor seiner Haustür ab. Ich wartete hinter einem Busch. Teilweise konnte ich die beiden beobachten. Den Rest hat Lisa mir später erzählt. Am Anfang war sie total aufgeregt. Weil ihr nichts Besseres einfiel, fragte sie ihn nach einer Zigarette.
»Du qualmst?« Marco konnte es nicht fassen. In diesem Punkt konnte ich ihn gut verstehen. Aber mit nur geringem Zögern hielt er ihr tatsächlich eine Zigarette hin und gab ihr Feuer. Sich selbst steckte er ebenfalls eine an. Lisa kriegte einen Hustenanfall. Marco grinste dreckig. Vorsichtshalber nahm Lisa die Zigarette nicht wieder in den Mund.
»Sag mal«, fing sie schließlich an, »du kennst doch diesen Dennis?«
»Ich kenne jemand, der so heißt.« Sofort wurde er vorsichtig. Aber dann konnte er es sich nicht verkneifen, stolz hinzuzufügen: »Ein guter Kumpel von mir. Was willst du von ihm?«
Sie setzten sich auf eine Bank. Lisa warf ihre Zigarette unauffällig weg. Marco nahm einen langen Zug an seiner.
»Ich hab gehört«, meinte Lisa unsicher, »er handelt mit Platten. Nicht CD s, sondern diese alten Schallplatten von früher.«
Ich konnte beide in diesem Augenblick nicht sehen, aber ich spürte Marcos erwachenden Argwohn wie elektrische Wellen bis in mein Versteck.
»Das hast du gehört?«, fragte er dann auch misstrauisch. »Wo denn?«
»Irgendwo«, sagte sie schnell. »Genau weiß ich es nicht mehr.«
»Wo auch immer«, sagte er schließlich. »Es stimmt nicht.«
»Oh.« Sonst fiel Lisa gerade nichts mehr ein. Wahrscheinlich hatte sie mit einem so klaren Nein nicht gerechnet.
Ich befürchtete schon: Das war’s. Aber da unterschätzte ich Marcos Interesse an Lisa.
Er hatte übrigens an so ziemlich jedem Mädchen Interesse, solange es nicht schielte oder wie ich verkrüppelt war.
»Aber wenn er es tun würde«, sagte er, »nur mal angenommen, was würdest du dann von ihm wollen?«
»Eine ganz bestimmte Platte«, sagte Lisa viel zu schnell. »Von … äh … Bobby Marlin.«
»Bob Marley?« Marco wurde sofort hellhörig.
»Ja, genau«, sagte Lisa erleichtert, »Bob Malieh.«
Marco hielt sich nicht länger zurück: »Woher weißt du von der Wette?«, fragte er.
»Welche Wette?« Lisa war aufrichtig überrascht. Ich hatte diese Sache ihr gegenüber nicht erwähnt, vorsichtshalber.
»Ich weiß nichts von einer Wette«, sagte sie.
»Die Wette zwischen Dennis und Tobias«, sagte er. »Natürlich musst du davon wissen. Sonst wüsstest du auch nichts von der Platte.«
Er hatte wohl keine Ahnung, was er von der ganzen Sache halten sollte, und wollte aufstehen. Aber Lisa spürte, dass sie kurz vor dem Ziel war, und wollte es jetzt auch wissen. Wagemütig rückte sie ein Stück näher an Marco heran. Das verfehlte seine Wirkung nicht. Er blieb nicht nur sitzen, sondern schlang sofort besitzergreifend einen Arm um ihre Hüfte. Er machte seine Zigarette
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