Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand
Patienten entspricht.
Das erinnert mich an Walter Jens, den wohl immer noch prominentesten Alzheimer-Fall in Deutschland, nicht zuletzt weil sein Sohn Tilmann und seine Frau Inge die Geschichte und die Fragen dahinter in ihren Büchern öffentlich machten. Der hoch geschätzte Tübinger Rhetorikprofessor hatte sich als weithin anerkannte Geistesgröße in öffentlichen Diskussionen immer wieder vehement für das und auch sein Recht auf den Freitod ausgesprochen, wenn die geistige Leistungsfähigkeit gravierend beeinträchtigt sein sollte. In einer Fernsehdiskussion sagte er dazu: »Darf ich nach einem selbstbestimmten Leben nicht auch einen selbstbestimmten Tod haben, statt als ein dem Gespött preisgegebenes Etwas zu sterben, das nur von fernher an mich erinnert?«
Immer wieder betonte er, wie wichtig es ihm sei, ein »denkendes Wesen und kein zuckendes Muskelpaket«, »ein ›ich‹ und kein ›es‹« zu sein: »Nicht mehr schreiben zu können, heißt für mich: Nicht mehr atmen zu können. Dann möchte ich tot sein.« Doch nachdem bei ihm eine Demenz diagnostizierte wurde, entschloss sich die Familie, die zugesagte Unterstützung zum Suizid zu verweigern, weil sie Jens auch im fortgeschrittenen Zustand entgegen seiner eigenen Vorhersagen immer wieder als glücklichen Menschen erlebt.
Für Professor Lauter ist das die richtige Entscheidung. Er sieht die Gefahr, dass die Legitimierung der ärztlichen Suizidbeihilfe zur »Eingangspforte für die aktive Euthanasie« werden kann. Wenn solche Fragen und insbesondere Antworten gesellschaftlich manipuliert werden«, könnten Betroffene die Selbsttötung oder die ärztliche Tötung auf Verlangen als »eine soziale Verpflichtung« verstehen, weil sie den Angehörigen oder der Versichertengemeinschaft nicht länger zur Last fallen würden. Es geht darum, ob man sich noch frei für ein Leben mit Demenz entscheiden kann, wenn zugleich die Möglichkeit einer gesellschaftlich akzeptierten, wenn nicht gar gewünschten »Entsorgung« besteht. Er erzählt, dass Sterbehilfegesellschaften in der Schweiz und Ärzte aus den Niederlanden ihre Dienste auch Menschen mit Alzheimer-Demenz anbieten.
– Für Demenzkranke sind solche Tendenzen natürlich eine große Gefahr.
– Wie kann man mit der Demenz eines Menschen, der einem nahesteht, umgehen?
Lauter zündet sich einen neuen Zigarillo an.
– Es geht hierbei vor allem darum, den Erkrankten in seiner gegenwärtigen, veränderten Existenz zu akzeptieren und nicht dauernd vergeblich gegen die Wahrnehmungs- und Verhaltensänderungen anzukämpfen. Andererseits ist es wichtig, immer wieder die Person zu suchen und vor dem inneren Auge zu behalten, die der Betroffene einmal war. Das gehört beides zusammen.
Ein fortwährender Balanceakt. Leicht klingt das nicht. Das wäre aber wohl auch zu viel verlangt, wenn es um Demenz geht. Immerhin verweist Lauter auf eine hilfreiche Perspektive.
– Die Krankheit kann leichter angenommen werden, wenn man weiß, dass sie von dem Betroffenen in aller Regel als weniger belastend empfunden wird, als dies Angehörige, Außenstehende und sogar Experten meist vermuten.
Und dann ist da noch eine Frage. Es fällt mir nicht leicht, sie zu stellen. Es geht um den Tod, genauer gesagt um das Sterben. In einem Aufsatz formuliert Lauter die drastische Erkenntnis, die Demenz erlaube es, »dem Tod bei der Arbeit zuzusehen«. Kein schöner Gedanke.
– Wie stirbt ein Mensch im Endstadium der Demenz?
– Meist an Sekundärkrankheiten wie einer Lungenentzündung oder einer Blutvergiftung, wenn es wegen schlechter Lagerung zu offenen Wunden kommt. Bei einem Kollegen von mir hat sich das sehr lang hingezogen. Er redete immer weniger, wurde bettlägerig, konnte nicht mehr aufstehen, war dann geistig und körperlich völlig regungslos. Schließlich bekam er eine Pneumonie, eine Lungenentzündung. Und aufgrund seines Gesamtzustandes wurde darauf verzichtet, ihn mit Antibiotika zu behandeln. Schon immer galt die Pneumonie als der »große Freund schwerkranker Menschen im Alter«.
– Und wenn keine Lungenentzündung das Ende herbeiführt?
– Ab einem gewissen Punkt fällt auch das Schlucken schwer. Oder der oder die Betroffene trinkt nicht mehr genug, und irgendwann versagen die Nieren, was ja auch meist ein gnädiger Tod ist.
Ich bin ihm für die konkreten Antworten dankbar, und doch weigere ich mich, die vagen Bilder, die dabei entstehen, mit meiner Mutter in Verbindung zu bringen.
– Was hat Sie
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