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Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand

Titel: Als meine Mutter ihre Kueche nicht mehr fand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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Teufel denn?
    – Er taucht immer dann auf, wenn in solchen Diskussionen Zweifel daran geäußert werden, ob ein Demenzkranker überhaupt noch eine menschliche Person darstellt, deren Würde nach dem Grundgesetz unantastbar ist und die daher uneingeschränkten Anspruch auf sämtliche pflegerischen Maßnahmen hat.
    Wie Hartmut Remmers denkt auch er, dass die Gesellschaft auf die wachsenden Herausforderungen der Demenz nicht vorbereitet ist und dass es der eher kurzfristig denkenden Politik an einer Strategie und womöglich immer noch an einem Bewusstsein für das Problem fehlt.
    – Dazu kommt noch die ganze Diskussion über die ärztliche Suizidbeihilfe oder die ärztliche Tötung psychisch Kranker aufgrund des eigenen Willens der Betroffenen. Das ist eine große Gefahr für demenzkranke Menschen.
    Lauter erzählt die Geschichte einer zweiundvierzigjährigen Belgierin, die wegen der Schwere ihrer körperlichen Behinderungen nach einem Schlaganfall ihre »vorzeitige ärztliche Lebensbeendigung« verlangte, noch bevor ihre Rehabilitationsmaßnahmen überhaupt abgeschlossen waren. Zudem wollte sie ihre Organe spenden. Da die, so Lauter, »Verlangenstötung« in Belgien juristisch zulässig ist, wurde ihrem Wunsch entsprochen. Direkt nach dem »vom Arzt herbeigeführten Tod« wurden ihre Organe entnommen und transplantiert. Das Vorgehen, sagt Lauter, könnte aus rein gesundheitsökonomischer und volkswirtschaftlicher Sicht als zweckmäßig und wünschenswert erscheinen.
    – So ein Prozedere kann auch für manchen Alzheimer-Patienten zu einer verführerischen Option werden. Man entgeht seinem weiteren Krankheitsschicksal und leistet anderen zugleich eine wertvolle Hilfe.
    Lauter zieht am Zigarillo, was jetzt allerdings mehr nach John Wayne klingt, als es tatsächlich aussieht. In seiner langen Laufbahn hat er erlebt, dass einige wenige Betroffene nach einer Demenzdiagnose den Freitod wählten. Erfahrungsgemäß passiert dies meist in den ersten sechs Monaten nach der Diagnose. Lauter will solche Akte der »Selbstbestimmung« nicht prinzipiell verurteilen. Er verweist aber auf Studien, die belegen, dass der Wunsch nach vorzeitiger Lebensbeendigung bei »Alzheimer-Kranken« in der Regel nicht von Dauer ist, wenn sich der Betroffene sicher sein kann, dass er am Ende seines Lebens von kompetenten, mitfühlenden Ärzten und Pflegepersonen begleitet wird.
    – Es geht um den Wunsch nach Verringerung des Leidens und um einen würdevollen Verlauf des Sterbens im Gegensatz zu einer technischen Lebensverlängerung um jeden Preis. Wenn das gegeben ist, klingt das Bedürfnis nach aktiver ärztlicher Herbeiführung des Todes nahezu ausnahmslos wieder ab.
    Damit kommt er zum Thema der Patientenverfügungen. Die können zu einem Problem werden, wenn sie sich viele Jahre vor dem Auftreten einer Demenz gegen unerwünschte lebensverlängernde Behandlungsmaßnahmen aussprechen, weil sich die spätere Situation nicht genau vorhersehen lässt. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich die persönlichen Einschätzungen und Bedürfnisse der Betroffenen mit der Zeit erheblich ändern.
    Lauter erzählt dazu die Geschichte eines Rechtsanwalts mit Demenz, der in einem Pflegeheim eine Lungenentzündung bekam. Lange vor seiner Demenzdiagnose hatte er eine Patientenverfügung verfasst, in der er für diesen Fall eine lebenserhaltende Behandlung ablehnte. Nun wirkte dieser Mann nach Aussage aller ihn Pflegenden trotz seiner Demenz aber durchaus zufrieden.
    – Er freute sich an der Sonne auf seinem Balkon, sah fern, auch wenn er nicht mehr viel verstand, und wirkte in der Regel durchaus fröhlich.
    Nach einigen Überlegungen und Diskussionen entschieden sich die Ärzte nach Rücksprache mit dem Pflegepersonal und den Angehörigen, den Patienten entgegen seiner früheren Verfügung mit Antibiotika zu behandeln.
    – Er führte ein durchaus lebenswertes Leben, weil er von mitfühlenden und verantwortungsbewussten Menschen betreut wurde. Auch wenn er sich dahingehend nicht mehr klar äußern konnte, hatten wir gemeinschaftlich den Eindruck, er habe sich von seiner vorherigen Haltung distanziert.
    Mittlerweile wäre eine solche Neuinterpretation des Patientenwillens schwieriger, weil Patientenverfügungen seit 2009 per Gesetz eine bindende Wirkung haben. Allerdings mit der Einschränkung, dass ein Bevollmächtigter oder Betreuer prüfen muss, ob die Verfügung in der konkreten Situation tatsächlich noch dem mutmaßlichen aktuellen Willen des

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