Als Mrs Simpson den König stahl
haben sollte. Weiß Gott, Evangeline meinte es gut, selbst wenn sie manchmal im Weg stand. Neulich hatte er sich im Club mit John Reith unterhalten, der Philips Meinung zu einer vertraulichen Angelegenheit einholen wollte. Bei einem Mittagessen jüngst im Claridge's habe eine gemeinsame Freundin, Lady Reading, angedeutet, er würde einen guten Botschafter in Washington abgeben.
»Ein ausgezeichneter Plan, mein Bester«, hatte Philip ausgerufen. »Obwohl ich mich mitunter frage, ob es da drüben überhaupt noch Amerikaner gibt. Sie scheinen in Scharen in dieses Land einzufallen.«
Beide hatten sich über das exzentrische Verhalten von Joans amerikanischer Patentochter ein wenig amüsiert.
»Anscheinend eine Expertin in Sachen Gift, ausgerechnet Gift!«, hatte John bemerkt, jedoch hinzugefügt, die Schönheit ihrer Stimme sei ein Vorzug, den ihr niemand streitig machen könne. Philip war dankbar dafür gewesen, sich mit jemandem über die sonderbaren und oft irritierenden Gewohnheiten seines Hausgastes austauschen zu können. Es war besorgniserregend, dass Evangeline bisher noch nicht angesprochen hatte, wann sie vorhabe, wieder nach Amerika zurückzukehren, aber aus Loyalität seiner armen Gattin gegenüber, die diese üppige Frau mit den Perücken so gern mochte, zögerte Philip, das Thema anzuschneiden.
»Du weißt doch über Myrtle Bescheid, Joans ältere Schwester?«, fragte er Evangeline am Frühstückstisch. »Ich muss wohl nicht die Gründe aufführen, weshalb wir das Eintreffen einer mit grüner Tinte geschriebenen Mitteilung stets fürchten?«
Philip lächelte ein wenig, aber Evangeline konnte sehen, dass
er am Rande der Verzweiflung war. Und aus ihren Gesprächen mit Lady Cynthia Asquith wusste sie, warum. Niemand sonst auf dieser Erde konnte Joan oder Philip in demselben Maße aus der Fassung bringen wie Myrtle. Anders als Joans jüngere Schwester Grace, deren Tod beinahe sämtliche Lebensgeister im Hause Blunt gedämpft hatte, war Myrtle nur selten Teil ihres Familienlebens gewesen, sei es als anwesende Person oder auch nur als Gesprächsgegenstand. Während ihres gesamten Erwachsenendaseins hatte Myrtle ihr überhebliches Wesen zur Schau gestellt. Sie hasste alles »Modische«, besonders dann, wenn es von Menschen übernommen wurde, die ihre Stellung in der Gesellschaft besser kennen sollten. Durchreichen zwischen Küche und Esszimmer beispielsweise konnte sie nicht ausstehen.
»Was ist daran denn so schwierig, die Teller durch eine Tür zu tragen, frage ich? O nein. Heute schlagen die Leute ein Loch in die Wand und ersparen sich die Mühe. Typisch neumodische Faulheit nenne ich das.«
Seit eine Tragödie, die sie während der Kriegsjahre erleiden musste, sie zu einem Leben als alte Jungfer verdammt hatte, wohnte die übellaunige Lady Myrtle Bradley allein in einem winzigen Dorf in Yorkshire. Es hatte einen Verlobten gegeben, aber seine Position am Steuer eines der neuen Panzer hatte ihn nicht vor den gezackten Granatsplittern geschützt, die das Fahrzeug vom Erdboden her durchschlugen. Joan hatte jedoch nie das Gefühl gehabt, dass Jacks Verlust ihre Schwester übermäßig gepeinigt hatte. Genau genommen hatte sich Joan schon immer gefragt, ob ihre Schwester überhaupt etwas für einen anderen Menschen empfinden konnte. Inzwischen waren wechselseitige Weihnachtskarten der einzige Kontakt, den die beiden Schwestern miteinander hatten. Weiß Gott, was Myrtle dort oben in Yorkshire den ganzen Tag mit sich anfing. Es wurde gemunkelt, dass sie einer Gruppe von Turnfanatikern angehöre, in verschiedenen Landesteilen derzeit die große Mode. Myrtle war schon immer gern an der frischen Luft gewesen. Mit Ende zwanzig,
bevor sie Jack kennenlernte, war sie eine der Ersten gewesen, die einen geschlitzten Rock getragen hatten, um bequemer auf dem Fahrrad sitzen zu können. In diesem Aufzug strampelte sie mit zwei, drei gleichgesinnten jungen Frauen die Landstraßen rund um das Haus ihrer Kindheit in Hampshire entlang. Ihr Lesestoff bestand zur Hauptsache aus der Zeitschrift Time and Tide und gedruckten Blumenzwiebelverzeichnissen. Joan wusste das, weil Myrtle sie einmal darum gebeten hatte, alle Kataloge für sie aufzuheben, die sie in Cuckmere nicht mehr benötige.
»Zu geizig, um selbst ein Abonnement zu bestellen, müssen Sie wissen«, hatte sie Vera erklärt, als sie sie beauftragte, alle veralteten Gärtnerzeitschriften Lady Myrtle nach Yorkshire schicken zu lassen.
»Gewiss, gnädige Frau«, hatte Vera
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