Als Mrs Simpson den König stahl
und ihm ungeniert nachgeben zu können. Rachels Augen und Ohren schienen jeden Winkel des Hauses auszufüllen, selbst dann, wenn sie gar nicht anwesend war.
Anfangs hatte Rachel sich entrüstet, als Nat seinen Schwiegereltern vorschlug, Ferien an der Südküste zu machen.
»Von diesem Billy Butlin in Skegness habe ich schon einiges gehört. Er will, dass jeder an irgendwelchen Spielen teilnimmt, als wären wir alle Nummern in einer Zirkusvorstellung. Ich muss schon sagen. Auch das noch!«, meinte sie.
Sarahs Eltern hatten noch nie Urlaub gemacht.
»Und wer soll den Küchenboden fegen, Nat? Sarah kann doch ihre Füße gar nicht mehr sehen, geschweige denn, sich über einen Besen bücken. Einige ihrer Kundinnen lässt sie während des Friseurtermins sogar die ganze Zeit stehen. Sie behauptet, so bequemer an ihren Frisuren arbeiten zu können. Und was soll Simon mit sich anfangen da unten in der Hitze? Es sollte mich
auch nicht wundern, wenn's an der Küste nicht viel zu essen gibt. Simon sagt, dort gibt's Briten, keine Fritten. Und wie soll Nummer 54 ohne das Essen auskommen, das bei uns übrig bleibt? Habe ich je behauptet, unentbehrlich zu sein, Nat? Hast du mich das jemals sagen hören? Aber ohne mich würde der Haushalt zum Erliegen kommen, Nat, das lass dir gesagt sein.«
Nat ließ sich nicht abschrecken. In Eastbourne, ganz in der Nähe des Landungsstegs mit seinem bunten Treiben, fand er schließlich eine Frühstückspension mit Meerblick. Am Ende war es jedoch Simon gewesen, der Rachel zu der Reise überredet hatte. Eines Tages kam er von Schein's Herrenfrisiersalon in der Bethnal Green Road nach Hause, wo er herausgefunden hatte, dass Mr Schein selbst kürzlich in Eastbourne gewesen war.
»Ich bin mit einer ›ganz besonderen‹ Freundin gefahren, falls Sie verstehen, was ich meine, Mr Greenfeld. Für ›diskrete Verabredungen‹, wie ich sie nenne, ist Eastbourne gut geeignet.«
Simon versicherte Mr Schein, Indiskretionen jeder Art seien bei ihm gut aufgehoben, und während Mr Schein ihm die schütter werdenden Haare mit Levy's patentiertem Haarwuchsmittel einrieb, beschrieb er ihm einen Eisbecher aus Eiscreme, Schlagsahne, Sirup und Nüssen, der unter dem Namen »Knickerbocker Glory« in einem Café auf dem berühmten Landungssteg verkauft wurde.
»Ich sage immer, es geht doch nichts über ein bisschen Schlagsahne, um das Herz schneller schlagen zu lassen, Mr Greenfeld.«
Es gab auch einen ausgezeichneten Pub und ein höchst kulantes Wettbüro, das großzügige Konditionen bot und das Mr Schein tief im Labyrinth der vornehmen Seitenstraßen Eastbournes entdeckt hatte. Als Simon mit frisch rasierten Wangen und glänzendem Haar aus Schein's Salon trat, war er bekehrt und wollte unbedingt mit Rachel ein paar Tage an der Küste verbringen.
Die Ferien waren ein so großer Erfolg, dass Rachel nach ihrer Rückkehr sämtliche Nachbarinnen dazu drängte, ein paar Tage lang Seeluft an der Südküste zu schnuppern. Dort bekomme man Eiscreme in Behältnissen, die kleinen Vasen ähnelten, und Fish & Chips, so viel man essen könne, gleich vor der Tür. Das Wettbüro wurde nicht erwähnt. Diese Information behielt Simon für sich.
Während Rachels und Simons Abwesenheit waren Sarah und Nat zum ersten Mal seit ihrer Hochzeit allein und hatten sich von neuem ineinander verliebt. Nebenan, in der Nummer 54, hatte sich allerdings eine Tragödie ereignet, die einen Schatten über diese glücklichen Tage warf. Mrs Smith, Mutter von zehn Kindern, hatte unlängst herausgefunden, dass sie wieder schwanger war. Eines Tages nach dem Abendessen hatte ihr Mann zwei der jüngsten Kinder mitgenommen, um am Fluss »ein bisschen Luft zu schnappen«. Den Nachbarn war nicht entgangen, wie unruhig Mr Smith in letzter Zeit gewirkt hatte, weil er ein weiteres Kind durchzufüttern hatte. Die Zeiten waren schlimm genug, bezahlte Arbeit kaum vorhanden. Mr Smith wusste vor Sorge weder aus noch ein. Den einzigen Ausweg aus dieser Notlage schien er darin zu sehen, die Anzahl der hungrigen Mäuler zu verringern. Seine Tat hatte die ganze Nachbarschaft schockiert.
Einem Zeugen zufolge hatten sich die drei Familienmitglieder bei den Händen gehalten und waren gemeinsam von der Blackfriars Bridge gesprungen. Die Kleinen seien sicherlich im Glauben gewesen, nur ein Spiel zu spielen, versuchten die Polizeibeamten Mrs Smith zu beruhigen. Wahrscheinlich seien sie hart auf dem Wasser aufgeklatscht und sofort tot gewesen, hieß es in der
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