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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Meldung der Hackney Gazette . Am Türklopfer der Nummer 54 war ein Trauerflor angebracht, der darauf schließen ließ, dass Besucher nicht willkommen waren. Grüppchen erschütterter Nachbarn hatten sich vor der Tür versammelt und sich mit gedämpften Stimmen darüber unterhalten, wie jemand
in so abgrundtiefe Verzweiflung versinken konnte wie Mr Smith. Selbst durch die geschlossene Haustür war der Kummer der Familie zu spüren.
    Während Sarah ihrer Freundin die schreckliche Geschichte erzählte, strich sie sich mit der Hand über den großen runden Bauch. Wie viel Glück man braucht, um in ein Leben voll Glück hineingeboren zu werden , dachte May. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie bislang schon jemandem begegnet war, der sie so stützen würde wie Nat seine Frau. Sie zögerte noch immer, Sarah anzuvertrauen, was zwischen ihr und Julian vorgefallen war, oder ihr von der ständigen Angst zu erzählen, seine Beziehung mit Lottie könnte in Berlin wieder zu neuem Leben erweckt worden sein. Stattdessen sprach sie von Florence. Sarah hörte aufmerksam zu, als May von den Sorgen berichtete, die sie sich um das Kind mache, besonders da Florence in letzter Zeit so unruhig gewirkt habe. Der ungewöhnliche Gürtel, den Florence an dem Tag getragen hatte, als sie zum Strand gefahren war, lieferte den besten Hinweis auf die Ursache von Florences merkwürdiger Stimmung.
    »Auf dem Gürtel war das Symbol der Blackshirts von Oswald Mosley, und ich glaube, Florences Mutter ist eine Anhängerin seiner Partei«, erklärte May.
    Sie wollte schon ansetzen, Mrs Cages kaum verhohlene Aufregung über den Besuch des Faschistenführers in Cuckmere zu beschreiben, doch dann hielt sie inne. Natürlich war sie zu Stillschweigen verpflichtet, aber sie wusste auch, dass Sarah entsetzt sein würde. Die Greenfelds würden den Grund für Mosleys Besuch in Cuckmere nicht nachvollziehen können. Aber Sir Philip hätte einen solchen Gast niemals unter seinem Dach geduldet, hätte er nicht eine Angelegenheit von nationaler Bedeutung erörtern müssen: das Verhältnis des Königs mit einer verheirateten Frau. May fragte sich, was wohl Sarah, eine Jüdin, von Mosley hielt, und sie fühlte sich überaus beschämt, weil sie sich von einem Mann, dessen Handlungen für die ihr so lieb gewor
dene Londoner Familie eine Bedrohung darstellten, physisch angezogen gefühlt hatte. Rassische und religiöse Vorurteile waren für May nichts Neues. Unter den Weißen auf Barbados hatte es einige notorische Rassisten gegeben, und das Erlebnis im Rathaus von Oxford war ihr noch in frischer Erinnerung. Sie erinnerte sich an die wütende Frau des Arbeiters aus Cowley, sie erinnerte sich an den klirrenden Lärm der Stahlstühle, und sie erinnerte sich an das Blut, das aus den Schnittwunden im Gesicht von Julians Freund gesickert war. Dann musste sie wieder an die hochgewachsene dunkle Gestalt denken, die über den Steinboden von Cuckmere Park geschritten und mit Lady Joan ins Obergeschoss verschwunden war. Und sie erinnerte sich an Mrs Cage, die das Tablett mit der Vase voll delikater Blumen hinaufgetragen hatte. Die Strömung des Antisemitismus verlief selbst durch Mays kleine Welt. Sie sagte nichts.
    Als könnte sie Mays Gedanken lesen, brachte Sarah das Thema jedoch selbst zur Sprache. »Ich vermute, unten in Sussex hast du von den Gerüchten nichts gehört«, begann sie, »aber Nat hat es in Zeitungsberichten gelesen und sich mit mehreren Schneidern unterhalten, mit denen er zusammenarbeitet. Es heißt, dass Mosley plant, in Kürze durchs East End zu marschieren.«
    Sarah legte wieder ihre Hand auf den aufgeblähten Bauch.
    »Falls er kommt, möchte ich hier bei euch sein«, sagte May.
    »Oh, gut. Mum wird sich freuen. Sie sagt zwar, sie sei nicht besorgt, aber ich weiß, dass sie es ist.« Damit wandten Sarah und May sich wieder dem Thema Mutterschaft zu, bevor sich das Gespräch um Lady Joan drehte.
    »Sie sieht so alt aus«, sagte May. »Ihr Haar ist ganz weiß und ihre Haut fast durchsichtig.«
    May und Sarah konnten sich kaum vorstellen, wie es sich anfühlen musste, den größten Teil des Lebens bereits hinter sich zu haben statt noch vor sich. Es entstand ein intensives Gefühl der Nähe zwischen ihnen, sodass May sich endlich imstande
fühlte, Sarah ihre verwirrten Empfindungen für Julian zu gestehen.
    In diesem Augenblick kam Sam durch die Tür des Pubs gestürzt. »Als das Schiff angelegt hat, bin ich schnurstracks nach Hause gegangen.« Seine

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