Als Mrs Simpson den König stahl
Augen glänzten, und er war so außer Atem, dass sie kaum verstehen konnten, was er sagte. »Ich habe euch überall gesucht.«
»Ach, Sam, ich freue mich ja so, dass du hier bist. Wann bist du von Bord gegangen? Komm und erzähl uns alles.«
»Ich wollte euch sofort sehen. Ich hatte eine wunderbare Zeit. Es waren ein paar Burschen aus Mums Gegend in Schottland dabei. Sie freuen sich riesig darauf, dich kennenzulernen, May. Wir sind jeden Tag geschwommen, und mein neues Lieblingsessen sind Oliven. Oh, und der König ist verrückt nach einer verheirateten Frau! Nach einer Amerikanerin. Einer Freundin von Miss Nettlefold.«
May sah Sam entsetzt an.
»Pst, Sam. Sprich leise. Bist du schon in der Oak Street gewesen?«, fragte sie ihn rasch.
»Ja, natürlich! Ich habe euch gesucht.«
»Und hast du darüber auch mit Rachel gesprochen?«
»Ich hab's nebenbei erwähnt, aber nur flüchtig«, entschuldigte sich Sam halbherzig, als er die Zurückhaltung seiner Schwester bemerkte. »Sie war wirklich überrascht! Jedenfalls sehr viel mehr, als du zu sein scheinst«, fügte er leicht vorwurfsvoll hinzu.
»Ach, Sam! Was hast du nur getan? Ich muss sofort zu Rachel und mit ihr reden«, sagte May. Sie unterbrach sich, um einer ziemlich verwirrten Sarah einen Kuss zu geben, bevor sie aus dem Pub eilte, ohne auch nur ihr Jackett anzuziehen. Wenn Rachel über das geheime Liebesleben des Königs Bescheid wusste, würde es binnen einer Stunde in der gesamten Straße von Gerüchten nur so schwirren.
May unterhielt sich noch mit Rachel und Sarah, die ihr aus
dem Pub gefolgt war, als Nat unerwartet schon zur Mittagszeit nach Hause kam. Sie gab sich alle Mühe, die anderen davon zu überzeugen, dass Sam die Frau, die die Blicke des Königs an Bord der Nahlin auf sich gezogen hatte, mit jemandem verwechselt haben musste. Sie versicherte ihnen, sie habe es aus sicherer Quelle, nämlich von Miss Nettlefold selbst, dass der König mit einem Mitglied des griechischen Königshauses geflirtet habe. Sams Fantasie müsse mit ihm durchgegangen sein. Was solle der König schon mit einer verheirateten Amerikanerin anfangen? May tat ihr Bestes, um die Vorstellung absurd erscheinen zu lassen. Nein, der König müsse einer griechischen Prinzessin schöne Augen gemacht haben. Angehörige königlicher Familien heirateten doch immer nur untereinander, oder?
Rachel machte nur »Hm-hm« und ging an den Herd, um Wasser aufzusetzen. »In der Liebe und im Krieg passieren die seltsamsten Dinge, May, das kann ich dir sagen.« Mehr äußerte sie dazu nicht, aber die Skepsis stand ihr quer übers Gesicht geschrieben.
Auch Nat hatte dringliche Neuigkeiten. Am Morgen hatte das Werkstatttelefon geklingelt, und die Stimme am anderen Ende hatte vornehmer geklungen als die irgendeines seiner Stammkunden.
»Tut mir aufrichtig leid, Sie zu stören«, hatte der Mann gesagt. »Sie sind doch Mr Castor, nicht wahr? Oh, gut, gut. Ich bin froh, dass ich Sie erreicht habe. Ob Sie die Güte hätten, May etwas auszurichten?«
Der Mann, Mr Richardson, Julian Richardson, sei für einen Tag in London, um seine Mutter zu besuchen, und würde gerne wissen, ob er im Lauf des Nachmittags vorbeikommen könne, um May zu sehen. Nat, der ebenso wie seine Frau und seine Schwiegermutter bereits ahnte, wie es um Mays Gefühle in dieser Sache stand – schließlich zog ihr bei jeder Erwähnung von Mr Ruperts Studienfreund die Röte ins Gesicht –, hatte eben noch vermeiden können, seinen Daumen an einem Jackett an
zunähen, bevor er nach Hause eilte, um May die Nachricht zu überbringen.
Drei Stunden später saß May zum zweiten Mal an diesem Tag im Pub. Sie war von Julians Geschichten über Berlin bezaubert. Lotties Name war nicht gefallen. Julians Ambivalenz gegenüber Deutschland dagegen trat ganz offen zutage. Auf der Plusseite stehe, dass das Land so gut organisiert sei, begeisterte sich Julian. Es gebe so wenig Arbeitslose. Alles in Deutschland funktioniere. Und er sei auf mehreren außergewöhnlichen Partys gewesen.
»Selbst ich, der ich eigentlich kein Partygänger bin, muss zugeben, dass ich einige dieser Berliner Bälle sehr genossen habe«, erzählte er ihr und zündete sich eine Zigarette an.
Die Pracht und Opulenz Berlins habe ihn in Staunen versetzt. Die Veranstaltungen seien sogar mit denen von Nero und Louis XIV . verglichen worden. Es habe Musik gegeben, Tanz und fantastische Balletts bei Mondschein. Es seien Kaviar und Austern serviert worden und ganze Ozeane
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