Als Mrs Simpson den König stahl
unbedingt Ratschläge über Julian geben lassen, fühlte sich aber zu schüchtern, um direkt danach zu fragen.
In den vergangenen paar Wochen war Cuckmere ein trostloser Ort gewesen. Die meisten Angestellten waren verreist, und Sir Philip verbrachte nach wie vor die meiste Zeit in London, wo er mit vertraulichen juristischen Angelegenheiten zu tun hatte, die seine ganze fachliche Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Sowohl die vogelartige Lady Emerald Cunard als auch die hochgewachsene, drahtige Lady Sybil Colefax hatten geäußert, wie dankbar sie seien, dass ein weiterer alleinstehender Mann von Rang an den Abendgesellschaften teilnahm. Lady Joan hatte das Bewusstsein noch immer nicht zurückerlangt, und Sir Philip hatte sich bislang nicht dazu durchringen können, einer Elektroschockbehandlung zuzustimmen. Nicht einmal die Gespräche mit einigen Kriegsveteranen aus seinem Club, die an Schützengrabenneurose litten und ihm nachdrücklich die Wirksamkeit dieser Behandlung bestätigten, konnten ihn überzeugen. Ein Eingriff ins Gehirn klang viel zu furchterregend, um in Betracht zu kommen. John Hunt verstand Sir Philips Vorbehalte, blieb ansonsten aber, was Lady Joans Fall betraf, ratlos. Er hatte peinlich genau darauf geachtet, seine Patientin wenigstens einmal die Woche im Krankenhaus zu besuchen, sah sich jedoch außerstande, ihrem Mann viel Anlass zur Hoffnung zu geben. Mittlerweile waren Lady Joans Fotos von Sir Philips Schreibtisch verschwunden, und May konnte sehr gut nachvollziehen, warum. Das Foto ihrer Mutter, das sie von Barbados mitgebracht hatte, war nach wie vor hinten in ihrem Tagebuch verwahrt, mit dem Gesicht nach unten und mit einem Gummiband fixiert. Der lebendige Anblick des sanften Lächelns ihrer Mutter war noch immer zu schmerzhaft für sie.
Aber es lag nicht allein an dem nach wie vor unveränderten Zustand Lady Joans und der Belastung, die all dies für ihren
nervösen und überarbeiteten Mann bedeutete – in diesen heißen Sommerwochen schienen noch andere Dinge aus dem Lot geraten zu sein. Florences rätselhaftes Benehmen und das Foto vom Strand von Pagham bereiteten May Sorgen. Julian hatte ihr bestätigt, dass es sich bei dem Zeichen auf der Gürtelschnalle um das Emblem der britischen Faschisten handelte, aber obwohl Mrs Cages heimliche Sympathien klar zutage getreten waren, stimmten May und Julian überein, dass es in Bezug auf Florence unklug wäre, Sir Philip davon zu berichten. Sosehr sie Mrs Cages Verbindung zu Mosleys Partei auch verurteilen mochten, es schien ja, abgesehen von Florences offenkundigem Unbehagen über ihre Ferien, nichts weiter passiert zu sein. Für den Augenblick blieb Mrs Cages Geheimnis gewahrt.
Florences Abwesenheit bedeutete jedoch, dass es niemanden gab, der sie auf ihren Radtouren begleitet hätte. Und auch Sam war weit weg, unterwegs auf dem Mittelmeer, und bewachte, wie er glaubte, den Herzog von Lancaster. Miss Nettlefold hatte May gegenüber die wahre Identität des Herzogs enthüllt, doch sie rechnete nicht damit, dass ihr Bruder direkten Kontakt mit den Passagieren der Nahlin hatte. Die Besonderheit dieser Kreuzfahrt war nicht ganz vertraulich geblieben. Eine von Sarahs Kundinnen in der Oak Street hatte eine neue Wochenzeitschrift dagelassen, die sich einer eher sensationslüsternen Berichterstattung verschrieb. Rachel war auf die Fotos des Königs, wie er durch die schmalen Gassen irgendeiner Stadt am Mittelmeer spazierte, ganz erpicht. Er wurde von einer elegant gekleideten, aber ungenannten Dame begleitet. Beide lachten.
»Es freut mich, dass der König sich amüsiert«, sagte Rachel beifällig, als sie die Zeitschrift durchblätterte. »Ich frage mich, warum es in den Zeitungen, die Nat mit nach Hause bringt, nicht auch so hübsche Aufnahmen gibt.«
May hatte Julian während dieser Sommerwochen mehr als irgendeinen anderen Menschen vermisst. Aber sie war auch wütend auf ihn. Sie hatten sich unter unglücklichen Umständen ge
trennt. Er hatte ihr, als sie ihm das Foto von Florence in Pagham gezeigt hatte, gestanden, dass er noch immer vorhabe, den August in Berlin zu verbringen. Er meinte, keine andere Wahl zu haben, die Reisevorbereitungen seien bereits getroffen. Irgendwie hatte May angenommen, die Gespräche, die Radtouren, vor allem aber all die zauberhaften, aufregenden, überraschenden, süchtig machenden Stunden, die sie heimlich miteinander in der Hütte am Meer verbracht hatten, bedeuteten, dass Julians Beziehung mit Lottie zu Ende
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