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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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stopfte die Enden fest in den Kragen seines Mantels. Die füllige Frau und ihr vornehmer Begleiter waren noch immer in ihre lebhafte Unterhaltung vertieft. Der kleine Hund lag gehorsam zu ihren Füßen. Julians Gedanken wanderten zu seiner Mutter. Ihr ging es nicht gut. Anfangs hatten die Ärzte gesagt, es könnte sich um Tuberkulose handeln, allerdings hatten sie Julian geraten, seiner Mutter nichts davon zu sagen. Solange sie sich ihrer Diagnose nicht sicher seien, dürfe man Mrs Richardson nicht unnötig beunruhigen. Eine Woche zuvor hatte er einen schwierigen Abend in der Wohnung seiner Mutter verbracht. Sie hatte seine Anwesenheit dazu genutzt, ihm vorzuwerfen, was für ein selbstsüchtiger junger Mann aus ihm geworden sei.
    »Statt dich um deine alte Mutter zu kümmern, wenn ich auf dich angewiesen bin, erzählst du mir, dass du noch immer daran denkst, nach Spanien zu gehen. Du kennst diesen Jungen doch überhaupt nicht, wie heißt er gleich, Paul? Und was ist mit dem anderen? Eric wie? Flair? Blurr? Aus was für Familien kommen die beiden überhaupt? Jedenfalls aus keinen, von denen ich je gehört hätte, da bin ich mir sicher.«
    Aus einem zaghaften Schuldgefühl heraus hatte Julian nach jenem Abendessen einen teuren Lungenspezialisten am Guy's Hospital zu Rate gezogen, dessen Sohn mit ihm am Magdalen College studiert hatte. Julian, der mit seinem Geld stets sparsam umging, war froh, dass er eine ausreichende Summe zusammengespart hatte, um die Konsultation bezahlen zu können.
    »Wie ich höre, ist Ihre Mutter verwitwet«, hatte der Spezialist am Telefon teilnahmsvoll zu Julian gesagt, nachdem er Mrs Richardson in seiner Praxis in der Harley Street untersucht hatte, eine Begegnung, zu der sie ihren besten Hut und eine Diamantnadel getragen hatte.
    »Aus glaubwürdiger Quelle weiß ich, dass sie einer Nadel im Besitz der Herzogin von York ähnelt«, hatte sie Julian hinterher erzählt, ohne näher auf die Diagnose ihrer Krankheit einzugehen.
    »Wir haben unsere Eltern nur für eine kurze, kostbare Zeit, nicht wahr?«, hatte der Spezialist weiter zu Julian gesagt. »Aber machen wir, solange sie hier sind, das Beste daraus? Das frage ich mich manchmal. Doch genau das würde ich Ihnen raten, Mr Richardson. Ihrer Mutter geht es nicht gut, fürchte ich. Sie hat Lungenkrebs, den ich für unheilbar halte.«
    Trotz dieser schrecklichen Nachricht blieb Julian zwiegespalten. Er war sich nicht sicher, ob er wirklich verpflichtet war, eine Frau zu pflegen, die er nicht liebte, selbst wenn sie ihm das Leben geschenkt hatte. Zumindest konnte er, solange seine Ersparnisse reichten, für ihre medizinische Versorgung aufkommen. Und das jüngste Gespräch mit ihr, genauer gesagt: ihre
letzte Belehrung, hatte ihn ungewöhnlich wehrlos zurückgelassen. Vielleicht hatte seine Mutter nicht ganz unrecht. Er genoss, abgesehen von den Verlockungen Londons, die Vorzüge seiner Oxforder Ausbildung, den Luxus von Cuckmere und seine sich vertiefenden Gefühle für May; gleichzeitig hatte er Peter das halbe Versprechen gegeben, nach Spanien zu reisen und sich den Kommunisten anzuschließen. Wollte er damit vielleicht nur seine linksradikalen Helden in der Beaumont Street beeindrucken? Sollte er in Mays Nähe bleiben und sich um seine Mutter kümmern, oder sollte er sein Leben neu überdenken und das Land verlassen? Gab es einen Mittelweg? Er wusste es nicht. Manchmal verzweifelte er an sich selbst.
    Er hatte ein Exemplar von Thomas Hardys Juda, der Unberühmte in den Park mitgenommen, aber der Wind pfiff ihm eisig um die Ohren, und es war zu kalt, um es sich bequem zu machen und zu lesen. Er richtete den Kragen seines Afghanenmantels auf und zog seinen Schal noch fester um den Hals. Er wollte bei Heywood Hill vorbeischauen, der neuen Buchhandlung in Mayfair, die ihm jemand aus der Clique in der Beaumont Street für die interessantesten und aktuellsten politischen Titel empfohlen hatte. Er musste sich beeilen, wenn er es dann noch rechtzeitig zu dem Geburtstagsessen eines alten Bekannten von der Universität schaffen wollte, einem Mitglied des Bullingdon Club, der mit der Hälfte aller silbernen Löffel von Mayfair im Mund geboren worden war.
    Gerade als er sich erheben und aufbrechen wollte, hörte er ein flötendes »Huhu«. Schon kam die schwerfällige Gestalt Miss Evangeline Nettlefolds auf ihn zugeschwankt, die von einem trügerisch schwachen Hündchen von einer Seite des Weges auf die andere gezerrt wurde. Evangeline ließ sich

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