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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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soll, der einen nicht einmal erkennt. Außerdem ist meine Schwester die ganze Zeit damit beschäftigt, Spielchen mit einem neuen Freund zu spielen, einem deutschen Soldaten, den sie auf einer Party des neuen deutschen Botschafters kennengelernt hat. Sie sagt, er wird sie nach Berlin mitnehmen, um ihr die Sehenswürdigkeiten zu zeigen! Wie auch immer, bist du in letzter Zeit in Cuckmere gewesen?«
    Julian murmelte eine flüchtige Antwort. Er wollte nicht zugeben, dass er – ebenso wie alle anderen in Cuckmere – Lady Joan jede Woche besuchte, in jüngster Zeit sogar jeden zweiten Tag. Die Missbilligung des Personals, das seit über zwei Monaten keines der beiden Kinder von Lady Joan gesehen hatte, behielt er für sich.
    Julian horchte auf den Lärm, der vom Piccadilly Circus herüberdrang. Die Sprechchöre wurden lauter, und schon tauchten auf der Straße unter dem Fenster die ersten von mehreren hundert braunen Schiebermützen auf. Der Anblick, der sich ihm bot, ähnelte einem Acker voll flachgetretener Maulwurfshügel. Über den Mützen waren deutlich blau-weiße Transparente zu sehen. Unter dem Schutz etlicher ramponierter Regenschirme trugen zwei der Männer einen sarggroßen Behälter. Ein weiterer Mann hatte einen Labrador an der Leine. Der Hund bewegte sich ebenso langsam wie die Männer.
    »Das müssen die Schiffsbauer aus dem Norden sein, mit ihrer Petition für die Downing Street«, rief ein Mitglied der Geburtstagsgesellschaft aus dem Inneren des mit mehreren Kronleuchtern ausstaffierten Zimmers.
    »Ja, das stimmt«, bestätigte ein anderer, der sich gefährlich weit aus dem Zimmer lehnte, um einen besseren Blick auf die Straße zu erhalten. »Ich kann die rothaarige Abgeordnete Ellen Wilkinson sehen«, fügte er hinzu. »Anscheinend ist sie meilenweit mitmarschiert. Sie kann nicht größer als 1,50 sein.«
    Julian blieb stumm. Die langsam dahintrottenden Demonstranten aus Jarrow, die über drei Wochen lang auf den Beinen gewesen waren, boten einen Anblick von solcher Hoffnungslosigkeit, wie er sie seit seinem Besuch in Wigan vor mehr als sechs Monaten nicht erlebt hatte. Natürlich hatte er in den Zeitungen von dem »Kreuzzug von Jarrow« gelesen, und seit letztem April war kaum ein Tag vergangen, an dem er nicht an die Männer gedacht hatte, die an den Straßenkreuzungen gestanden und sich auf den Einbruch der Dunkelheit gefreut hatten, um einen weiteren hoffnungslosen Tag endlich hinter sich zu haben. Es hieß, dass weiter oben im Norden acht von zehn Männern ohne Arbeit und Lohn seien, und seit der Schiffswerft Palmer's an der Tyne die Aufträge ausgegangen waren, war die Zahl noch angestiegen. Diese Männer, die nun im Herzen Londons eingetroffen waren, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo Julian ein überschäumendes Glas Champagner in der Hand hielt, marschierten durch einen der reichsten und privilegiertesten Wohnbezirke des Landes. Bei diesem Gedanken wurde er von einer Welle des Zynismus durchflutet. Die meisten Zuschauer stimmten darin überein, dass sie Zeugen von Würde, Stolz und Mut waren. Worauf es aber eigentlich ankam: Was unternahm irgendjemand, was unternahm er dagegen?
    Er knallte sein Glas so hart neben sich auf den Tisch, dass es zersprang. Er wandte sich vom Fenster ab und stolperte über einen wohlbekannten adligen Jungspund, der langgestreckt in einem Sessel lag, Rauchkringel aus seiner Zigarre in die Luft blies und gleichzeitig herzhaft gähnte.
    Lottie, die es sich inzwischen auf Ruperts Knien bequem gemacht hatte, sah hoch.
    »Du gehst schon?« Offensichtlich hatte sie bereits eine Menge Champagner getrunken und gab sich nicht die geringste Mühe, die wahre Natur ihrer Beziehung zu Julians früherem Zimmergenossen in Oxford zu verbergen. »Ich nehme an, du suchst den Rücksitz eines Rolls-Royce«, setzte sie mit unverkennbarer Bitterkeit hinzu. Julian antwortete nicht. Mantellos stürzte er hinaus auf die Straße und schlug, noch ehe der überraschte Butler herbeieilen konnte, die Haustür hinter sich zu. Eine Stunde später, nachdem er sich im Hauptquartier der Labour Party in Holborn als Parteimitglied eingetragen hatte, lief er verstört die Piccadilly entlang. Er nahm den Weg vorbei an der rückwärtigen Mauer der Gartenanlagen des Buckingham Palace und hielt auf die Victoria Railway Station zu. Ohne genauer zu überlegen, was er tat, löste er eine Fahrkarte nach Polegate, und eine Stunde später, als das Tageslicht eben nachzulassen begann, erreichte er das

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