Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
Vom Netzwerk:
Und doch konnte Philip sich des Gedankens nicht erwehren, dass Joan die Verbindung gutheißen würde. Ihr Respekt vor Julian, seiner Treue, seiner Intelligenz, seinem Bemühen, das Richtige zu tun, und seinen in gewisser Hinsicht tragischen Familienverhältnissen hatte in ihr eine tiefe Zuneigung zu dem jungen Mann ausgelöst. Philip seinerseits hielt May trotz ihrer mangelnden Lebenserfahrung und ihres sehr jungen Alters für eine Frau von bemerkenswertem, ja bewundernswertem Charakter.
    Philip war in keiner besonders guten Verfassung. Er hatte sich geärgert, als er bei seiner Ankunft in Cuckmere erfuhr, dass
Mrs Cage sich seit längerem zurückgezogen hatte. Der Köchin zufolge war ihr, als sie drei Wochen zuvor aus London zurückgekehrt war, »ganz mulmig« gewesen, und seitdem hatten die übrigen Bediensteten sie kaum zu Gesicht bekommen. Die Mahlzeiten wurden ihr ins Haus gebracht, und Anweisungen zur Haushaltsführung erteilte sie von ihrem Schlafzimmer aus. Offenbar war auch Florence sehr niedergeschlagen; laut Mr Hooch wirkte sie auf den Fahrten von und zur Schule ganz verschlossen. Hooch las ihr, wann immer er eine freie Minute hatte, alle möglichen Geschichten von Rudyard Kipling vor, aber die Worte schienen nicht zu ihr vorzudringen, und selbst das Angebot, ihr mitten im Oktober ein Eis zu kaufen, hatte seinen Zweck nicht erfüllt.
    Joan hätte sich ganz bestimmt die Mühe gemacht, herauszufinden, weshalb das Kind so litt. Doch Philip konnte es sich momentan nicht leisten, persönlichen Problemen zwischen Mrs Cage und ihrer Tochter nachzugehen, wo es doch so viele andere Dinge gab, die ihn in Anspruch nahmen.
    Die Liebesaffäre zwischen dem König und Mrs Simpson war in den eleganten Speisezimmern Belgravias und der an London angrenzenden Grafschaften längst nicht mehr bloß Gegenstand von Spekulationen. Mittlerweile war sie über die Grenzen der höheren Gesellschaft hinausgedrungen, und die Situation änderte sich ständig. Einen Tag nachdem das Gericht von Ipswich im Oktober das vorläufige Scheidungsurteil ausgesprochen hatte, war im angesehensten amerikanischen Qualitätsblatt The New York Times ein Leitartikel erschienen, der den Skandal nur weiter anheizte: »Von den exklusivsten Salons in Mayfair zu den plebejischsten Pubs in Whitechapel liegt jedem nur eine einzige Frage auf den Lippen.« Mehrere Absätze waren diversen Mutmaßungen über diese eine »Frage« gewidmet, ohne direkt auszusprechen, was immer offenkundiger wurde.
    Philip gab Julian ein Handzeichen, sich zu setzen. »Wie schön, Sie zu sehen, Julian. Bedienen Sie sich«, sagte er und deutete auf
die Whiskykaraffe. »Was für einen Eindruck hat Lady Joan heute auf Sie gemacht?«, fragte er.
    »Verzeihen Sie, Sir, aber ich bin zu spät eingetroffen, um noch ins Krankenhaus zu fahren. Ich hatte einen recht merkwürdigen Tag. Der Hungermarsch von Jarrow hat London erreicht, und der Anblick hat mich ziemlich umgekrempelt.«
    »Ich weiß, was Sie meinen«, erwiderte Philip mit einem Seufzer. »Im Moment kommt mir die ganze Welt wie umgekrempelt vor.«
    »Würden Sie mich an Ihrer Sicht der Dinge teilhaben lassen?«, fragte Julian vorsichtig. Er wollte nicht zu neugierig erscheinen.
    »Ja. Ich habe genug Vertrauen zu Ihnen, um Sie in meine Gedanken einzubeziehen, vorausgesetzt, dass alles, was ich sage, innerhalb dieser vier Wände bleibt.«
    Philip wusste, dass er ein Risiko einging, aber früher oder später würde die ganze Angelegenheit ohnehin ans Licht kommen. Er hatte sich schon des Öfteren gefragt, welche Spekulationen seine eigenen Angestellten über den unglückseligen Besuch Sir Oswalds in Cuckmere anstellten. Ursprünglich war es der Vorschlag des Premierministers selbst gewesen, Mosley zu einer Unterredung unter vier Augen einzuladen, schien dieser doch aufrichtig besorgt über die Katastrophe, in die der liebestrunkene König hineinschlitterte. Mit äußerstem Widerwillen hatte Philip sich bereit erklärt, diesen Mann in seinem Haus willkommen zu heißen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Und es hatte all seiner Überredungskünste bedurft, um Joan zum Einlenken zu bewegen.
    Doch nach dieser Zusammenkunft und vielen weiteren Zusammenkünften ähnlicher Art, die in verschiedenen Privaträumen Londons abgehalten worden waren, hatten weder Philip noch Mosley noch all die anderen einflussreichen Männer den König davon überzeugen können, sich eines Besseren zu besinnen. Mit seiner Absicht, Mrs Simpson zu heiraten, hatte

Weitere Kostenlose Bücher