Als Mrs Simpson den König stahl
beilegen. Sie hatte ihr erklärt, dass mit Hilfe des wundersamen Mediums Rundfunk eine Handvoll Personen unterschiedlicher Nationalitäten britischen Haushalten Einblicke in die Gepflogenheiten und Eigenheiten ihrer eigenen Länder ermöglichen sollten. Angesichts der engen Verbindungen Großbritanniens mit den Vereinigten Staaten hatte Sir John beschlossen, mit Evangelines Heimatland zu beginnen. Mit ihrer, wie er gesagt hatte, »samtenen Stimme« sollte sie der erste seiner ausländischen Studiogäste sein. Nur ein Detail ihres Plans hatte sie May vorenthalten: zwei handgeschriebene Seiten, an denen sie insgeheim mehrere Tage lang gefeilt hatte.
Die Vorbereitungen für die Aufnahme waren aufregend gewesen. Evangeline hatte den Vormittag in Mayfair verbracht, erst bei der Nagelpflegerin von Elizabeth Arden und danach in Antoine's Coiffeursalon, wo sie sich in einem Separee ihre Perücke hatte anpassen lassen. Mit ihrer Kleidung hatte sie sich besondere Mühe gegeben. Obwohl Evangeline nicht einen Tropfen schottisches Blut in den Adern hatte, hatte sie sich ein neues Schottenkostüm mit tiefen Taschen gegönnt. Der Kauf hatte sie äußerst zufrieden gestimmt, zumal Sir John die Bemerkung gemacht hatte, wie gut ihr die dunkelblau-grünen Karos standen. Sie war dankbar, dass Sir John ihre kleine Geste seinem Herkunftsland gegenüber zu schätzen wusste.
Von dem Augenblick an, als May sie am Seiteneingang des Crystal Palace abgesetzt hatte, ließ Sir John ihr eine Behandlung
zuteilwerden, als sei sie nichts Geringeres als ein Mitglied des Königshauses. Er entsprach Evangelines Bitte, ihre Sendung vor ihrer Landsmännin und Freundin Wallis Simpson geheim zu halten, es sollte eine Überraschung für die alte Freundin sein. Höchstpersönlich geleitete er Evangeline durch die Korridore und mit dem Fahrstuhl ins Untergeschoss. Jeder, an dem sie vorüberkamen, lüftete seine Mütze und machte eine leichte Verbeugung, nicht nur vor ihm, sondern auch vor Evangeline. Die Techniker waren es gewohnt, in den Studios »eminenten Persönlichkeiten« zu begegnen, besonders seit einen Monat zuvor neben Radiosendungen auch mit der Ausstrahlung der ersten Fernsehbilder in wenige wohlhabende Privathaushalte begonnen worden war. Doch ein Besuch des Generaldirektors der BBC in den abgelegeneren Studios, die Aufnahmen vorbehalten waren, die aus dem einen oder anderen Grund im Geheimen durchgeführt werden mussten, war eine besonders große Ehre.
Als sie ins Studio kamen, stellte Sir John sie George Barnes vor, dem Sendeleiter der BBC für »besondere Gespräche«. Mr Barnes, ein freundlich aussehender Mann mit offenem Gesicht, kurzem Haarschnitt und äußerst beruhigendem Auftreten, ging mit Evangeline die praktischen Details durch. Er ermahnte sie, langsam und deutlich zu sprechen und zu pausieren, falls sie sich verhaspelte; der Aufnahmetechniker werde nur zu gern noch einmal von vorn beginnen, falls sie einen Fehler mache. Da die Sendung nicht live ausgestrahlt werde, gebe es jederzeit die Möglichkeit, kleine Unsicherheiten zu korrigieren, versicherte er ihr mit einem warmen Lächeln.
Mr Barnes sorgte dafür, dass Evangeline es auf dem breiten Holzstuhl, der sie an ihre Schulzeit erinnerte, bequem hatte. Um die harte Sitzfläche abzufedern, ließ er aus einer der Requisitenkammern eigens ein Kissen holen, das sogleich mit Klebstoff auf dem Stuhl befestigt wurde. Der Techniker setzte ihr die Kopfhörer über die frisch gesprühte Perücke. Auf dem Tisch
vor ihr lag das getippte, von ihr und Sir John in allen Einzelheiten gebilligte Skript. Sie waren startbereit.
Anweisungsgemäß begann Evangeline zu lesen, als das Lämpchen an dem faustgroßen Mikrofon rot aufleuchtete. Sie blickte kurz auf und sah auf der anderen Seite der Glasscheibe die hochgewachsene Gestalt Sir Johns, der ihr ermutigend zunickte, neben ihm Mr Barnes, der die Ruhe selbst war.
Die erste Minute nutzte Evangeline, um ihre Freude darüber auszudrücken, dass sie einem britischen Publikum von ihrem Heimatland erzählen durfte. Keiner der drei Männer auf der anderen Seite der Glasscheibe hatte bemerkt, wie sie kurz zuvor aus ihrer Tasche diskret zwei Seiten handgeschriebener Notizen gezogen hatte. Nachdem sie ihre lebhafte Beschreibung des erst sechs Jahre alten Chrysler Building und des noch neueren und höheren Empire State Building, die die Skyline New Yorks beherrschten, abgeschlossen hatte, räusperte sie sich und legte ihre handgeschriebenen Seiten auf
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