Als Mrs Simpson den König stahl
an. »Das wusste ich.«
»Wirst du Mums Geheimnis für dich behalten? Mir zuliebe?«
»Ja, ich verspreche es dir«, sagte May und sah Florence nach, als sie aus dem Zimmer hüpfte.
Am folgenden Morgen kam Mr Hooch in die Küche, wo May gerade frühstückte, und reichte ihr einen Umschlag.
»Mr Richardson muss ihn, bevor sein Taxi gekommen ist, in der Garage hinterlegt haben.«
In dem Umschlag befand sich ein Bogen mit dem Briefkopf von Cuckmere Park.
Samstag, 31. Oktober 1936
May, mein Liebling,
es tut mir leid, dass ich abgereist bin, ohne mich zu verabschieden, aber wenn ich meinen Aufbruch heute Morgen hinausgezögert hätte, um noch einmal mit Dir zu sprechen, hätte ich mich womöglich anders besonnen und wäre überhaupt nicht gefahren.
Ich nehme heute das Fährschiff nach Frankreich und dann einen Zug nach Paris, um mich mit Peter zu treffen. Von dort werden wir vermutlich nach Spanien weiterreisen und uns mit seinem Freund Eric treffen. Ich gehe nach Spanien, weil ich glaube, nun, weil ich hoffe, dass es das Richtige ist.
Ich weiß nicht, wie lange ich wegbleiben werde, vielleicht eine gute Weile. Aber sobald ich sicher angekommen bin, werde ich Dir eine Nachricht schreiben.
Kümmere Dich um Lady Joan, ja? Du weißt, sie ist wie eine Mutter für mich. Und gib Florence einen Kuss von mir.
Ich werde Dich mehr vermissen, als Du weißt.
In Liebe
Julian
May las den Brief zwei Mal, die letzten Sätze ein weiteres Mal. Einen Moment später merkte sie, dass Mr Hooch noch immer in einer Ecke der Küche stand.
»Ich fahre jetzt nach Polegate, um Miss Nettlefold abzuholen, sie kommt mit dem Zehn-Uhr-Zug ab Victoria Station. Möchten Sie mitkommen? Ich würde mich über Ihre Gesellschaft freuen«, sagte er.
Mr Hooch brauchte seine Einladung, die, wie May wusste, eine Geste reinster Freundlichkeit war, nicht zu erklären. Sie
schlug das Angebot jedoch aus und ging an ihren Schreibtisch. Sie hatte die Absicht, sich in ihre Arbeit zu stürzen, jetzt, wo die alten Gewissheiten des Lebens um sie herum einzubrechen drohten. Sie erinnerte sich daran, wie sie als Kind zu Hause in Barbados manchmal mitten in der Nacht in der panischen Angst aufgewacht war, sie hätte ihre Sandburg zu dicht am Wasser gebaut. Und am Morgen würde sie feststellen, dass die Wellen sie hinweggespült hätten. So wie die Betonplatten mit Gewalt aus den Bürgersteigen des East End herausgerissen worden waren, so schienen auch das Leben und die Freundschaften, in die sie im Verlauf des letzten Jahres nach und nach ihr Vertrauen gesetzt hatte, zu zerbrechen.
Sir Philip wartete in seinem Arbeitszimmer auf sie.
»Morgen muss ich, Sonntag hin, Sonntag her, nach London, zu einem Treffen mit dem Premierminister in der Downing Street. Die Lage spitzt sich zu. Können Sie mich umgehend mit Lord Beaverbrook verbinden?«
Eine halbe Stunde später bestätigte ein Hundekläffen in der großen Eingangshalle, dass Miss Nettlefold eingetroffen war. May bekam sie aber erst zu Gesicht, als draußen auf dem Rasen eine pelzbemantelte Gestalt ein kleines Hündchen hinter sich herzog. May beobachtete das Paar durchs Fenster. Loafer humpelte hinter seinem einstweiligen Frauchen mit dem Gangwerk eines Tieres her, das sich durchs Leben schleppte. May drehte sich wieder zu ihrem Schreibtisch um, wo das Telefon nun schon mindestens ein Dutzend Mal geklingelt hatte.
Zur Teestunde kam Miss Nettlefold auf der Suche nach May ins Arbeitszimmer. Der Raum schien furchtbar beengt, als die füllige Frau ihre üppigen Formen am Schreibtisch vorbeizwängte und sich auf einem Stuhl niederließ. Ihr allzu enger Rock entblößte fleischige Knie, die zu einem zu verschmelzen schienen.
»Haben Sie Loafer draußen gelassen?«, fragte May. »Es würde Sir Philip nichts ausmachen, wenn der Hund für einen Moment hereinkäme.«
Loafer halte gerade ein Schläfchen oben auf ihrem Bett, erklärte Miss Nettlefold, und wolle nicht gestört werden. Tatsächlich hatte man Evangeline gebeten, den Hund in zwei Tagen ins Fort zurückzubringen, und May sollte sie hinfahren. Sie und May würden aber auch den morgigen Tag miteinander verbringen, verkündete Miss Nettlefold mit einem theatralischen Händeklatschen. Der Tag der Rundfunkaufnahme mit Sir John, von dem Miss Nettlefold ihr einige Wochen zuvor im Vertrauen erzählt hatte, war gekommen. Am Vormittag habe sie einige Verabredungen in Mayfair, und mittags werde sie im Aufnahmestudio im Crystal
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