Als Mrs Simpson den König stahl
den Tisch.
»Aber als Amerikanerin, die ihr Land liebt, halte ich es heute Abend für meine Pflicht, Sie in das ›am schlechtesten gehütete Geheimnis der Welt‹ einzuweihen«, begann sie.
Auf der anderen Seite der Glasscheibe runzelte Sir John die Stirn und blickte Aufklärung heischend zu George Barnes.
»Und damit«, fuhr Evangeline fort, »meine ich den Gegenstand der Zuneigung Ihres Königs. Die britische Presse mag eine vorbildliche Institution sein, aber im vergangenen Jahr hat sie auf eine Weise Zensur ausgeübt, die ihre ausländischen Pendants in Staunen versetzt hat.« Die nächste Passage las sie besonders langsam. »Ich glaube, die Briten haben ein Recht, zu wissen, dass Edward VIII . in eine zweifach geschiedene Amerikanerin verliebt ist.«
Evangeline sah auf. In den Gesichtern der drei Personen jenseits der Scheibe spiegelte sich Entsetzen. Evangeline fuhr mit ihrer Überraschung fort.
»Sie sollten ebenfalls wissen, dass der König beabsichtigt, die
se Frau, mit der er derzeit ein geheimes Liebesverhältnis unterhält, dem britischen Volk als neue Königin zu präsentieren. Sie heißt Wallis Simpson, und wenn Edward VIII . sie heiratet, wird Königin Wallis mit ihm auf dem Thron sitzen.«
Als Sir John einen Augenblick später durch die Studiotür stürzte, war das Licht des Mikrofons wieder auf Grün umgesprungen. Evangeline konnte sehen, wie der Techniker am Mischpult verzweifelt Knöpfe drückte und Mr Barnes ihm mit dringlichen Gesten irgendwelche Anweisungen gab.
»Wie können Sie es wagen, Schindluder mit meiner Zeit zu treiben?«, fragte Sir John und riss Evangeline die Kopfhörer von den Ohren. »Sie dumme, dumme Frau. Sir Philip hat mich gewarnt, dass Sie unberechenbar sind. Kein Wunder. Ich ärgere mich schwarz, dass ich nicht auf ihn gehört habe.«
»Ich habe nur die Wahrheit gesagt, wie Sie es mir geraten haben«, entgegnete Evangeline vorwurfsvoll und verärgert. Sie war sich bewusst, dass ihre Perücke bei der hastigen Entfernung der Kopfhörer zur Seite gerutscht war. »Wenn Sie die Wahrheit nicht hören wollen, dann gebe ich mir keine Mühe mehr mit diesem gottverdammten scheinheiligen Land.«
Als sie aufstehen wollte, um zu gehen, merkte sie zu ihrem Entsetzen, dass sie festsaß. Es musste ein wenig Klebstoff auf die Oberseite des Kissens getropft sein, der sich dann mit dem Stoff von Evangelines Rock verbunden hatte. Mit einiger Anstrengung gelang es ihr, sich zu befreien. Sie stieß den Stuhl beiseite, aber da hatten Sir John, Mr Barnes und der Techniker schon gehört, wie der Stoff zerriss.
»Nie sagt jemand die Wahrheit, das ist Ihr ganzes Problem«, rief Evangeline und rauschte so würdevoll, wie sie es in diesem Zustand vermochte, zur Tür hinaus. Als sie raschen Schrittes zum Fahrstuhl eilte, flatterte das abgerissene Stück ihres Rocks hinter ihr her. Dazu folgte ihr Sir Johns aufgebrachte Stimme durch den Korridor. »Dieser heimtückische Vorfall wird nicht unbemerkt bleiben. Das kann ich Ihnen versichern, Miss Nettlefold.«
Auf der Rückfahrt nach St John's Wood in die Hamilton Terrace fragte May höflich, ob die Aufnahme gut verlaufen sei.
»Ich bin ein wenig müde, May, wenn Sie nichts dagegen haben. Ich möchte mich nicht unterhalten.«
May entschuldigte sich, hakte aber noch einmal nach. Sie hoffe, Evangeline habe keinen Wortwechsel mit Sir Philip gehabt. Evangeline war nicht in der Stimmung, Vertraulichkeiten weiterzugeben, und beantwortete die Frage mit einem Kopfschütteln. Sie wusste, warum May sie das gefragt hatte. Die Spannungen im Haus verschärften sich täglich und nahmen mehr und mehr von Sir Philips Zeit in Anspruch. Inzwischen war er allen gegenüber gereizt.
May erkundigte sich auch nach Loafer. Sie meinte, in den letzten Tagen habe der Hund ungewöhnlich lethargisch gewirkt. Sie könne sich nicht einmal daran erinnern, wann sie Loafer das letzte Mal bei Bewusstsein gesehen habe. Doch Evangeline bot ihr keine Erklärung für das Verhalten des Hundes, und die restliche Fahrt verlief schweigend.
Es war früher Abend, als sie das Fort erreichten. Der Wagen fuhr die anmutigen Kurven der Zufahrt hinauf, und bald zeigten sich die in Flutlicht getauchten Gemäuer. Schemenhaft hoben sie sich gegen einen Himmel ab, an dem Regenwolken die Sterne verhüllten. Auf der kreisförmigen Auffahrt parkte die Limousine des Königs, vor dem Portal wartete jedoch ausnahmsweise niemand. Eine volle Minute verstrich, ehe Osborne, der Butler, erschien, wie
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