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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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sich neben May aufs Bett setzte, lösten sich ein paar Federn aus der seidigen Steppdecke und schwebten durch die Luft.
    »Aber es ist ein Geheimnis«, begann Florence. Sie klang ängstlich und schaute May zum ersten Mal an diesem Tag direkt in die Augen.
    »Natürlich«, erwiderte May. »Versprochen.«
    »Du versprichst wirklich, niemandem was zu sagen?«
    May nickte.
    »Nun«, begann Florence und heftete den Blick wieder aufs Bett. »Diese Person. Die auf dem Foto?«
    »Ja.«
    »Nun, er ist nicht mein Bruder. Jedenfalls nicht richtig, nur zur Hälfte.« Sie nahm all ihren Mut zusammen und fuhr fort. »Genau genommen bin ich ihm nie begegnet. Er heißt Carl, und Mum sagt, er gehört zu einem anderen Leben, als sie noch mit einem Deutschen verheiratet war. Sie sagt, das ist lange her, und ich brauche nichts darüber zu wissen. Das war, als sie noch in Deutschland gelebt hat. Und ihr damaliger Mann ist lange vor meiner Geburt gestorben. Als Mum nach England zurückgegangen ist, haben Carls Onkel und Tante sich bereit erklärt, ihn bei sich aufzunehmen.«
    Einen Moment lang zitterte Florences Stimme. Ein Tränensturz, der schon versiegt war, hatte einen periodischen Schauder hinterlassen. Florence rückte näher an May heran, und sie
konnte den süßen Atem des Mädchens riechen. Er roch wie eine frühsommerliche Wiese.
    »Ist dein Vater auch in Deutschland?«, fragte sie behutsam.
    »Nein, den hat Mum kennengelernt, als sie nach England zurückgekommen ist. Mein Dad war in der Armee, und Mum sagt, sie war eine Soldatenfrau, aber Dad ist an einer Lungenentzündung gestorben, als ich erst ein Jahr alt war. Und nach Dads Tod ist Mum hierhergekommen, um zu arbeiten.«
    »Dann sind also beide Ehemänner deiner Mum gestorben. Wie schrecklich!«
    Florence sah zu May auf, dankbar für ihr Mitgefühl. »Ja. Manchmal ist Mum sehr traurig, aber sie sagt immer, wenigstens hat sie mich, auch wenn die anderen nicht mehr da sind. Deshalb versuche ich ja auch, immer das zu tun, was sie sagt, zum Beispiel die Sache mit der Farbe.«
    Eine kleine Hand stahl sich über die Daunendecke und schmiegte sich still in Mays. Einige Augenblicke lang saßen sie schweigend, Seite an Seite, mit verschränkten Fingern da. Florence schwankte zwischen Loyalität zu ihrer Mutter und dem Wunsch, langgehegte Geheimnisse zu offenbaren.
    »Du musst mir versprechen, dass du nichts weitersagst, wenn ich dir verrate, dass Carl Mum beigebracht hat, wie man die Buchstaben pinselt. Er hat gesagt, ich soll's auch tun. Er hat gesagt, Mum soll mir beibringen, dass die Juden alles an sich reißen und den Leuten das Geschäft verderben. Und er hat ihr in einem Brief geschrieben, welche Buchstaben man pinselt. So machen sie's in Deutschland.«
    »Wolltest du deshalb in den Ferien nicht nach Pagham fahren?«, fragte May.
    »Ja. Letztes Jahr mussten wir auch hin. Hinterher haben wir Kinder alle gesagt, dass wir nicht mehr an Türen malen wollen. Ich glaube nicht, dass Mum mich allein dazu gezwungen hätte, aber Carl und die anderen Frauen im Lager von Pagham haben sie ermutigt. Sie haben gesagt, Kindern fällt es leichter, weil sie
schneller wegrennen können als Erwachsene. Ich habe Mum gesagt, ich will nicht, aber sie meinte, es sei für England, nicht für Deutschland, und dass ich Engländerin sei, oder etwa nicht?«
    Ein zweiter Schauder durchrieselte Florence. May konnte ihn durch ihre verschränkten Hände spüren.
    »Ich wollte dir und Nat und Sarah nicht wehtun. Ich wusste nicht einmal, dass wir in eurer Straße waren, bis du herausgekommen bist und uns gesehen hast. Wir waren nur deshalb in der Gegend, weil da so viele Juden wohnen. Ich habe versucht, die anderen davon zu überzeugen, sofort aufzuhören, ich wusste, dass es unrecht war.« Florence sprach jetzt ruhiger, als handele es sich um eine unbestreitbare Tatsache.
    May zog sie enger an sich. Vor ihrem inneren Auge blitzte ein Bild von Sarah auf, wie sie den kleinen Joshua im Arm hielt.
    »Florence, was ihr getan habt, war großes Unrecht. Wenn du mir versprichst, nie wieder Türen zu bemalen, wird deine Mutter böse mit dir sein?«
    »Ich denke schon, aber das ist mir egal. Ich werde Mum sagen, dass ich es nicht wieder tun will. Und wenn sie mich dazu zwingt, werde ich ihr sagen, dass ich nie mehr mit ihr reden werde. Nie mehr.«
    Florence stand auf und küsste May wie bei ihrer ersten Begegnung auf die Wange.
    »Ich habe Mum nie etwas von Vera und Lady Myrtle erzählt, weißt du.«
    May lächelte sie

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