Als Mrs Simpson den König stahl
die Abendgesellschaft, auf der sie mit der »reizenden Lady Joan« geplaudert hatte, und verlieh ihrer Betrübnis darüber Ausdruck, dass sie erst so spät von Mrs Nettlefolds Tod erfahren habe. Sie habe gehört, dass Lady Joan ihre Patentochter dazu ermuntere, die Reise über den Ozean anzutreten. Vielleicht könne ein Wort von Wallis, ihrer »ältesten Freundin«, helfen, Vangey zu einem Besuch zu überreden?
»Ich würde Dir gern zeigen, dass das Leben hier so ganz anders ist«, bettelte sie. »Es dürfte Dich erheitern, dass ich, Demokratin, die ich bin, Tanz- und Knicksstunden genommen habe, auch wenn mein Hofknicks mehr einem Nicken ähnelt als einer zeremoniellen Verbeugung!«
Angesichts der Tatsache, dass ihre Tante Bessie inzwischen zu alt war, um den Atlantik mehr als einmal im Jahr zu überqueren, vermisste Wallis die Gesellschaft eines Menschen, mit dem sie sich darüber unterhalten konnte, wie man die Dinge zu Hause erledigte. Sie war sich nicht sicher, ob Evangeline eine gemeinsame Landsmännin kannte, Thelma Furness, mit der Wallis früher viel Zeit verbracht hatte. Leider sah Wallis sie dieser Tage nur selten, und wenn Evangeline diese vertrauliche Mitteilung vorerst für sich behalten könne, so müsse sie gestehen, dass sie sich von den Briten allmählich ein wenig überfordert fühle. Manchmal wisse sie nicht einmal mehr, welcher Nationalität sie angehöre. Sie liebe die Würde der Briten und ihren weiten Horizont, ziehe aber den amerikanischen Sinn für Humor und dessen besonderes Markenzeichen, den »Pep«, vor. Manchmal fühle sie sich fehl am Platz, trotz all des gesellschaftlichen Wirbels, der um sie gemacht werde. Selbst die Freundschaft mit
ein, zwei besonderen Individuen (außer der ihres lieben Mannes natürlich) könne ihr Heimweh nicht ganz beseitigen. All dies und vieles mehr wolle sie mit Evangeline persönlich bereden.
»Komm doch! Ach, komm !«, hatte sie geschrieben und die Worte mit Nachdruck dreifach unterstrichen. »Vielleicht finden wir ja sogar jenen Liebhaber für Dich, der Dir bisher immer entgangen ist! Er muss doch irgendwo auf Dich warten.«
Sehnsucht nach ihrer Schulzeit durchströmte Evangeline. Jenes längst entschwundene Gefühl der Unschuld und des Vertrauens erinnerte sie an die Empfindungen, die sie jetzt nur noch verspürte, wenn sie im Begriff war, ein neues Kleid anzuziehen, oder eine in Geschenkpapier eingehüllte Schachtel Pralinen in den Händen hielt. Alles war wunderbar in der Vorfreude; aber es musste eine Zeit gegeben haben, da Enttäuschung eine unbekannte Gefühlsregung war, dachte sie wehmütig. Plötzlich kamen ihr die Wärme und der Witz ihrer alten Schulfreundin betörend köstlich vor. Das Missverständnis wegen des »chinesischen Zauberstabs« im Schlafzimmer von Baltimore lag hinter ihnen und brauchte nie wieder erwähnt zu werden. Evangeline steckte den Brief zurück in den Umschlag und fasste den Entschluss, unverzüglich nach England zu reisen.
Als die SS Thalassa auf einer der schlimmsten Überfahrten seit Menschengedenken durch die Wogen des Atlantiks schlingerte, hielten sich die meisten Passagiere aufgrund ihrer gereizten Mägen in der Abgeschiedenheit ihrer Kabinen auf. Die Außentemperatur sank so stark ab, dass der Boden des leeren Swimmingpools in dem eiskalten Wetter Risse bekam. Evangeline war dankbar, dass sie die Reise in den Wintermonaten unternahm, sodass ihre geheime Schande unentdeckt blieb. Sie hatte große Angst vor Wasser und hatte nie schwimmen gelernt. Tennis und Tischtennis an Deck waren ein Ding der Unmöglichkeit auf dem schwankenden Schiff, doch Filme und Bridge füllten die Stun
den zwischen den Mahlzeiten höchst zufriedenstellend aus. Solange sie sich von dem furchterregenden Anblick der rollenden, brechenden Wogen fernhielt, fühlte sich Evangeline von der schaukelnden Meereslandschaft nicht in Mitleidenschaft gezogen. Folglich war sie oft nur eine unter höchstens einer Handvoll anderer Gäste im Restaurant, und wenn Dutzende unterbeschäftigter Kellner sie mit anhaltender Aufmerksamkeit überschütteten, empfand sie die Freude eines Flusspferds, das eben an einem mit dickem Schlamm bedeckten Ufer gelandet ist. Wiggle befand sich im Hundeparadies und verschlang so viele Würstchen und Kekse, wie seine kleinen Kiefer bewältigen konnten. Evangeline wünschte, die Reise würde doppelt so lange dauern. Es gab Cocktails und Zigarren, Kaviar und Kanapees, und ungeachtet der zahlreichen Aufforderungen, mit dem
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