Als Mrs Simpson den König stahl
transpirierenden Ersten Offizier zu tanzen, genoss sie das Leben an Bord. Evangeline war, trotz der vielen Tanzstunden, die sie auf Drängen ihrer Mutter genommen hatte, keine begabte Tänzerin. Mrs Nettlefold hatte darauf bestanden, da man nie wissen könne, wann sich diese Fähigkeit bei »bedeutenden gesellschaftlichen Anlässen« als nützlich erweisen würde. Am letzten Abend an Bord stolperten Evangeline und ihr maritimer Verehrer durch einen Wiener Walzer, seine schweißige Hand hatte sich an einem kleinen Bereich ihrer nackten Haut festgesaugt. Die ausgeschnittene Raute im Rücken ihres Abendkleides hatte dem Ersten Offizier Auftrieb verliehen, den whiskydurchtränkten Vorschlag zu äußern, sie seiner verwitweten Mutter vorzustellen, die in Liverpool lebte und sich sehr darüber freuen würde, in Evangelines reizendem Akzent Geschichten über die Neue Welt zu hören.
Evangeline freute sich in mehr als einer Hinsicht auf die Ankunft in Liverpool, aber in Begeisterung versetzte sie vor allem die Aussicht auf das bevorstehende Wiedersehen mit ihrer Schulfreundin. Es stimmte sie besonders zufrieden, ein perfektes Mitbringsel für Wallis gefunden zu haben, sowohl ein ver
spätetes Weihnachtsgeschenk als auch etwas, das ihnen beiden die Jahre wechselseitiger Zuneigung ins Gedächtnis rufen würde, Erinnerungen, die sie zusammenschweißten. Eine Woche bevor sie nach Großbritannien aufgebrochen war, hatte Evangeline dem Kaufhaus Hochschild einen Besuch abgestattet. Dessen vertraute gelb-schwarze Lieferwagen schossen noch immer durch Baltimore und bescherten den grauen Straßen bunte Farbkleckse. Von Nostalgie erfasst, durchstöberte sie die Abteilungen, in denen sie und Wallis sich einst so gut ausgekannt hatten, und nach langer Überlegung verweilte sie in der Musikabteilung. Dort stieß sie auf eine Kiste mit Jazzschallplatten, die als »alte Lagerbestände« ausgewiesen waren. Fast zuoberst lag eine Aufnahme von W. C. Handys Memphis Blues , dem größten Hit der Band im Jahre 1909, der von Hochschilds eigenem Plattenlabel The Belvedere in den zwanziger Jahren neu herausgebracht worden war. Der Name war deutlich auf der gelben Scheibe aufgedruckt. Das perfekte Geschenk, das sie Wallis zu ihrer neuen Adresse Fort Belvedere mitbringen konnte! Dieses glückliche Zusammentreffen würde Wallis sicherlich entzücken und das Gefühl bestärken, wie sehr sie ihre Freundin aus Teenagertagen vermisst hatte. Sie hatte auch noch ein paar andere Käufe getätigt. Für Joan gab es einen eleganten Regenschirm, auf dessen schwarz-gelber Plane das Hochschild-Logo aufgeprägt war. Und für Philip hatte sie ein Paar der neuesten Freizeitschuhe erstanden, »Slipper« genannt. Unter modebewussten Männern, die die amerikanische Variante des norwegischen Mokassins begeistert aufgenommen hatten, waren sie der letzte Schrei.
Noch als sie im überfüllten Hafen von Liverpool die Gangway hinabging, Wiggle sicher unter ihrem Mantel versteckt, versuchte Evangeline, den Ersten Offizier abzuschütteln, der ihr hartnäckig den Hof machte. Sie war erleichtert, als sie auf einem großen Stück Pappe, das eine Bulldogge von einem Mann in Uniform hochhielt, ihren in ungleichmäßiger Schrift gemalten Namen erspähte. Der Mann, dem die Mütze etwas schief
auf dem Kopf saß, wartete am Kai neben einem glitzernden blauen Rolls-Royce auf sie.
Philips Chauffeur Cropper sollte sie schnurstracks nach London bringen. Schweigend zurrte der Fahrer, dem es offenkundig widerstrebte, den Mund auch nur zu einem flüchtigen Gruß aufzumachen, Evangelines Gepäck hinten am Wagen fest. Erst als sie es sich und Wiggle mit einer dicken karierten Decke auf dem Ledersitz bequem gemacht hatte, roch sie einen leichten Whiskydunst.
Sie beschloss, dass die am wenigsten konfliktträchtige und daher angenehmste Art, die lange Fahrt hinter sich zu bringen, darin bestand, ebenfalls zu schweigen. Und so schaute sie aus dem Fenster und war erleichtert, als sie die düster aussehenden Straßen Liverpools hinter sich ließen. Als der Wagen auf den grauen Landstraßen Nordenglands seine Fahrt beschleunigte, schlief Evangeline ein. Sie erwachte nur während der kurzen Pausen am Straßenrand, wenn Cropper brummelte, er müsse nachprüfen, ob das Gepäck noch sicher verstaut sei. Sie döste aber stets wieder ein, bis sie schließlich in London ankamen.
5
Als May und Sam sich in das winzige Wohnzimmer in Bethnal Green zwängten, wurden sie von drei Menschen bereits
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