Als Mrs Simpson den König stahl
sehnsüchtig erwartet. Ein großes Mädchen mit weiten grauen Augen erhob sich aus ihrem Sessel neben dem Kohlenfeuer, um die Neuankömmlinge zu begrüßen. Ein älterer Mann, dessen Neigung zu einer Glatze unübersehbar war und dessen Hemdknöpfe von dem über dem Bauch spannenden Stoff abzuplatzen drohten, schob seinen Arm unter Sarahs Ellbogen und lächelte May und Sam an. Die Ähnlichkeit ihrer beider Gesichtszüge war unverkennbar.
Das dritte Mitglied des Begrüßungskomitees, eine Frau, die eine straff über ihre Strickjacke gebundene geblümte Schürze trug und vor dem Kaminfeuer stand, wandte sich zu den Besuchern um. Ihren Rock hatte sie hinten fast bis zur Taille gerafft und wärmte sich an den Kohlen. Sie ließ den Rock los, eilte auf May zu und musterte sie über ihren Brillenrand hinweg. May vernahm einen schwachen Mehlgeruch.
»Na, da seid ihr ja! Nats Cousin und Cousine! Ich darf sagen, wie froh wir sind, euch hier in der Oak Street zu haben, nicht wahr, Sarah? Nicht wahr, Simon? Simon, hörst du mir zu?«
»Das sind Mrs Rachel Greenfeld, meine Schwiegermutter, Simon, mein Schwiegervater, und meine Frau Sarah«, begann Nat.
»War die Überfahrt stürmisch?«, unterbrach ihn seine Schwiegermutter. Ihr graues Haar war am Hinterkopf zu einem anmutigen Knoten gewickelt. »Und war der Bus pünktlich? Ich hoffe, eure Mutter hat euch mit ausreichend warmer Kleidung und einer hübschen Thermoskanne für ein heißes Getränk ausgestattet. Ich denke, ihr könntet alle eine schöne Tasse Tee gebrauchen. Simon, setz sofort den Kessel auf, Simon. Hast du gehört, Simon? Es sollte mich nicht wundern, wenn die Kinder
vor Durst schon halb umgekommen sind. Nun denn, hat eure Mutter euch gewarnt, dass es sehr kalt ist hier in England? Hast du deiner Tante gesagt, dass sie sie warnen soll, Nat?«
Während sie sprach, klopfte Rachel mit ihrem sorgfältig geschnürten Schuh rhythmisch im Takt zu ihrer Rede. Die Fragen sprudelten aus ihrem Mund wie Seifenblasen, die man durch ein Röhrchen bläst. Zerplatzte eine in der Luft, wurde sie sogleich von der nächsten abgelöst.
»Nun erzähl, May, wie war das Essen auf dem Schiff, Sam? So wie ihr ausseht, gab's nicht genug! Na, in diesem Haus braucht ihr euch wegen Nachschub keine Sorgen zu machen!«
Sarah saß stumm dabei. Hin und wieder blickte sie zu ihrem Vater und zu ihrem Mann und verdrehte die Augen, als sie mit ansehen musste, wie zwei Fremde zum ersten Mal der herzlichen, aber neugierigen Redseligkeit ihrer Mutter ausgesetzt waren.
»Du siehst blass aus, Sam. Simon, sieht Sam nicht blass aus? Komm her und wärm dich am Feuer, mein Junge. Du siehst nicht so schlecht aus, May. Hast ein bisschen Farbe abgekriegt, darf ich zu meiner Freude sagen. Trotzdem, komm her, in die Wärme. Hast du das Teewasser aufgesetzt, Simon?«
Während Rachel sie weiter ins Verhör nahm, fiel May auf, dass Sarah über ihr eng tailliertes Kleid strich. Solange sie zurückdenken konnte, hatte May die jungen Frauen auf den Plantagenfeldern dabei beobachtet, wie ihre Schwangerschaft allmählich das Stadium erreichte, da es ihnen Mühe machte, ihren aufgeblähten Unterleib über das Zuckerrohr zu beugen, ohne die Beine zu spreizen. Weil es jedoch nicht das geringste Anzeichen eines anschwellenden Bauches gab, sehnte Sarah den Tag wohl noch herbei, da sie ein eigenes Kind haben würde.
Das Haus der Greenfelds und der Castors war das Aushängeschild der Straße. Nummer 52 war eines der ersten Häuser gewesen, die an die elektrische Stromversorgung angeschlossen wurden. Der verchromte Tellerwärmer auf der Anrichte wur
de mit ebenso viel Trara ausgestellt wie eine Trophäe für die schönste Kuh auf einer Landwirtschaftsschau. Das Haus barst geradezu vor Besitztümern, die sich über viele Jahre hinweg angesammelt hatten, aber es war so sauber, ordentlich und wohlriechend wie die Anrichte in einer Backstube. Die Haustür führte direkt ins Wohnzimmer; der schmiedeeiserne Korb auf dem Boden des blau-weiß gekachelten Kamins war mit einem großen Haufen Kohlen gefüllt, die vor Hitze schwarz-rot glühten. Rachel war wieder zum Kamin zurückgekehrt, und unter ihrem Rock sah May den Spitzensaum ihres Unterrocks hervorlugen. Um die Feuerstelle herum war eine dreiteilige Couchgarnitur aus geflecktem Leder gruppiert, und zu beiden Seiten standen klobige Sessel, bezogen mit einem mattbraunen Stoff mit rosa Blümchen. Auf einem niedrigen Tischchen zwischen den Sesseln befand sich ein großer
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