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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Kummer. Sie machte sich Gedanken und Sorgen um alles und jeden. Als ihre Tochter mit Nat Castor, einem nichtjüdischen Lehrling in Simons Werkstatt, auszugehen begann, waren beide Elternteile zurückhaltend. Zu einer Ehe außerhalb des Glaubens durfte man nicht ermutigen. Doch der kraftstrotzende und charismatische junge Mann nahm sie bald für sich ein, und als das junge Paar seine Verlobung bekannt gab, war Simon auf Nat genauso stolz, wie er es auf einen eigenen Sohn gewesen wäre. Nat hatte seiner Tante Edith einen lustigen Brief geschrieben, in dem er die Gesprächsverwicklungen schilderte, die zu seiner Heirat geführt hatten.
    »Natürlich wirst du konvertieren müssen, Nat, und zwar mit allem Drum und Dran, falls du mir verzeihst, dass ich mich so ausdrücke«, hatte Rachel erklärt. »Ich fürchte, es wird ein bisschen wehtun, aber Gott erwartet von dir, Nat, dass du Ihm klar und deutlich versprichst, dein Vertrauen in Ihn zu setzen, nicht wahr, Simon?«
    Der jüdischen Tradition folgend, überließ Simon seiner Frau unweigerlich die Führung in allen Angelegenheiten, die mit Haushalt und Familie zu tun hatten. Um die Wahrheit zu sagen, zog er es vor, Zeit mit sich selbst in der Werkstatt zu verbringen oder mit seinen Freunden im Wettbüro in der Bethnal Green Road, wo er Erholung von Rachels unaufhörlichem Geschnatter fand. Daher war Rachel schockiert, als ihr unterwürfiger Mann verkündete, dass vor Sarahs und Nats Eheschließung kein Skalpell benötigt und auch kein Religionsübertritt stattfinden werde. Man werde nicht die übliche Schiwa sitzen, die siebentägige Trauerwoche, die eingehalten werden muss, wenn eine Jüdin einen Goi heiratet. Solange ihre Nachkommen im jüdischen Glauben erzogen würden, könne Nat seine gottgegebenen Genitalien für sich behalten, unversehrt. Nat habe sich bis auf den Namen in jeder Hinsicht als guter jüdischer Junge erwiesen, und das reiche ihm, Simon, vollauf.
    Insgeheim erfreut über Simons seltene Zurschaustellung sei
nes Durchsetzungsvermögens, zeigte Rachel sich kämpferisch und zerstreute jedes Gerücht in dieser Angelegenheit, das in der Straße aufkam.
    »Schauen Sie, Mrs Cohen«, sagte sie und verschränkte schützend die Arme vor ihrem geblümten Busen, »Nat ist zwar kein Jude, aber zumindest Schneider, und das ist ein guter Beruf. Meine Tochter hat einen guten Mann, der für sie sorgen kann. Nur darauf kommt es an.«
     
    Obwohl es für Tee schon etwas spät war, wurde nur wenige Minuten nach Mays und Sams Ankunft in der Oak Street eine im Laden gekaufte Torte auf den Tisch mit der Samtdecke gestellt, eine Extravaganz, die normalerweise der Geburt eines Kindes oder der Krönung eines Königs vorbehalten war. Die Torte war mit cremigem blassbraunem Zuckerguss überzogen und mit einer einzigen Walnusshälfte, die in der Mitte in den Guss eingedrückt war, verziert.
    »Man sieht doch gleich, dass es eine Kaffeetorte von Fuller's ist«, flüsterte Nat, brachte seine plappernde Schwiegermutter zum Schweigen und schnitt in den weichen Zuckerguss. Als das scharfe Messer mit der Glasur in Berührung kam, sorgten ein winziges Geräusch und ein kaum wahrnehmbares Erzittern der Oberfläche dafür, dass die um den Tisch Sitzenden sich in freudiger Erwartung die Lippen befeuchteten.
    »So ein Geräusch gibt's bei keiner anderen Torte«, versprach Nat und drückte das Messer nach unten, bis es das Porzellan berührte.
    »Wie wär's mit einem Zitronenküchlein?«, fragte Rachel und reichte einen Teller herum.
    »Trink doch was, May. Bedien dich, Sam«, fügte Nat hinzu und deutete auf sechs geblümte Miniaturgläschen, randvoll mit Flüssigkeit.
    May schloss behutsam die Hand um den zarten Stiel. Der honigfarbene Wein war süß, aber nicht zu süß.
    » L'Chaim! «, riefen Nat, Sarah, Rachel und Simon im Chor, als sie ihre fingerhutgroßen Gläser auf die Ankunft ihrer Gäste erhoben.
     
    Am nächsten Tag wurden May und Sam ins Trocadero am Piccadilly Circus ausgeführt, den berühmtesten aller weiß-gold angestrichenen Lyons-Corner-House-Teeläden. Die Firma sei vor fast vierzig Jahren von einem jüdischen Tabakhändler gegründet worden, erklärte Nat, und manche, darunter auch die stolzen Greenfelds, hielten die Restaurants für den Gipfel des Luxus.
    Beeindruckt sah May dabei zu, wie eine der »Nippies«, wie die schwarz-weiß uniformierten Kellnerinnen ihrer Behändigkeit wegen genannt wurden, zwischen den vollbesetzten Tischen hindurchflitzte und dabei Tabletts

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