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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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Geschichtskenntnissen hervorzutun; er hätte dieses alte Haus geliebt. Als sie sich beeilte, mit Mrs Cage Schritt zu halten, stolperte sie auf den unebenen Steinen dahin.
    »Ist Januar nicht ein verdammt miserabler Monat?«, sagte Mrs Cage, und ihre Stimme echote zwischen den hohen grauen Wänden. »Sussex im Winter kann allerdings auch sehr schön sein. In den letzten neun Jahren habe ich einige wunderbare Winter erlebt«, fuhr sie fort. Ihre Worte flogen zur Decke hinauf und kehrten in Schattenform wieder zurück. »Aber ich kann mir nicht helfen, dauernd denke ich, wie schön es sein wird, wenn es wieder warm ist.«
    »Ich vermisse die Wärme auch«, pflichtete May ihr enthusiastisch bei.
    »Schwimmen Sie gern?«, fragte Mrs Cage. Sie wandte sich um und sah May an.
    »Ja, sehr gern. Gibt es in der Nähe einen Strand?«
    »Gleich unten in Cuckmere Haven. Florence und ich gehen manchmal hin, obwohl es ein ziemlich weiter Fußweg ist.«
    »Florence?«
    »Oh, Entschuldigung! Florence ist meine Tochter. Sie ist neun, na ja, fast zehn, wie sie mir ständig in Erinnerung ruft. Sie lebt geradezu dafür, im Meer zu baden!«
    Mrs Cage stieß die getäfelte Tür am Ende des langen Korridors auf.
    »Sir Philip muss erst noch ein, zwei Anrufe tätigen. Wenn Sie hier warten wollen, er wird bestimmt bald kommen. Soll ich Ihnen eine Tasse Kaffee bringen lassen?«
    May schlug das Angebot aus und blieb allein zurück. Sie ließ sich in einem Sessel in der gegenüberliegenden Ecke nieder. Ein kräftiger Geruch verwirrte sie, eine leicht unangenehme Mischung aus frisch und würzig. Dann entdeckte sie eine Handvoll igelgleicher Kugeln, die ordentlich aneinandergereiht auf dem Fensterbrett lagen. Sie erkannte sie vom Wäscheschrank zu Hause. Zu Weihnachten hatten sie und Sam immer Orangen mit kleinen Nelkenköpfen gespickt und die Früchte mit einem Band umwickelt. Daran hing dann eine parfümierte Kugel, die ihren Duft an die Bettlaken abgab.
    Überall stapelten sich Bücher. In den Regalen, die sich auf drei Seiten vom Fußboden bis zur Zimmerdecke erstreckten, sah man ihre bunten Rücken. Die ziegelsteinrote Tapete an der verbleibenden Wand wurde von zwei alten, ausgefransten Gobelins verdeckt, die Jagdszenen in einem Wald zeigten. Vorhänge aus üppiger mattgoldener Seide hatten dieselbe Fülle wie Aschenputtels Ballkleid. May versuchte auszurechnen, wie lange es wohl dauern würde, jedes Buch in diesem Zimmer zu lesen. Eine Woche, vielleicht einen Monat für jeden Band? Ein Jahr für jedes Regal? Ihr wurde ganz schwindlig, und sie gab auf. Sie verzichtete auf ihr improvisiertes »Himmel und Hölle«, schob das Schnupftuch wieder in ihre Tasche zurück, schloss die Augen und wünschte, sie wäre weniger nervös.
    Beim Geräusch der aufgehenden Tür schrak sie auf. Ein großer junger Mann mit Brille stürzte ins Zimmer, warf sich in den mit Sackleinen bezogenen Sessel ihr gegenüber und grätschte die Beine. Offenbar glaubte er, allein zu sein. Er schlug ein Buch in einem gelben Umschlag auf, der mit den Worten »Left Book Club« bedruckt war. May hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, für den Fall, dass er sie unvermutet entdeckte und sie verdächtigte, sich absichtlich versteckt zu haben.
    »Hallo.«
    Der junge Mann blickte von seinem Buch auf. Seine Haare waren fast weiß, sie hatten die Farbe kristallisierten Honigs. Er legte den Finger an die Lippen und bedeutete ihr, leise zu sein.
    »Ich bin der schrecklichen Schwester entfleucht«, zischte er. Einen Augenblick musterte er sie mit durchdringendem Blick. »Ich muss sagen, Sie sehen verteufelt elegant aus, so mit Hut im Haus.«
    »Oh«, sagte May und wurde plötzlich unsicher. »Meinen Sie, ich sollte ihn absetzen?«
    »Nun, das hängt davon ab, was Sie als Nächstes tun wollen. Falls Sie zum Lunch bleiben, würde ich ihn definitiv absetzen. Falls Sie aber eine Kopfgrippe haben und hier sind, um die Ästebildung der elisabethanischen Eichen im Garten zu studieren, würde ich Ihnen vorschlagen, den Hut aufzulassen.«
    »Ich warte auf Sir Philip«, erklärte sie, in die Defensive gedrängt. »Ich hoffe, dass er mich als Fahrerin anstellt.«
    »Oh, verstehe«, sagte der junge Mann und prüfte sie eingehender. »Wie amüsant! Sie sind ganz anders als Cropper. Ich hoffe, dass Sie keinen Flachmann mit Whisky unter dem Hut versteckt haben.«
    May blickte verdutzt drein.
    »Oje. Entschuldigung. Ich muss wirklich lernen, etwas diskreter zu sein. Lady Joan hat einen Ausdruck dafür.

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