Als Mrs Simpson den König stahl
Vorbereitungen mit aufgerissenen Augen. Sarahs Friseurgerätschaften waren vorübergehend entfernt und der lange Tisch mit einem zierlich bestickten Tuch bedeckt worden. Aus der Vitrine im Wohnzimmer hatte man die besten Teller hervorgeholt und abgestaubt, die Kerzen
im doppelten Halter waren entzündet, und unter einem Stück Leinen, weiß wie der eben gewaschene Bart eines alten Rabbi, lag ein frischer Laib Challa, ein süßer Brotzopf aus Weißmehl, Hefe und Eiern. Sobald die Gebete vorüber waren, stellte Sarah Teller mit eingelegten Heringen, gehackter Leber und dünn geschnittenem Räucherlachs auf den Tisch. In den vergangenen ein, zwei Stunden war ein buttriger Duft nach gebratenem Hähnchen durchs ganze Haus gezogen, und um seinen Hunger anzudeuten, machte Simon kleine kreisende Bewegungen auf seinem großen Bauch. Simon war nur selten hungrig. Dafür sorgte seine Frau. Aber am Schabbat überwältigten ihn die Küchendünste.
»Hast du für unsere Gäste Matzebällchen gemacht?«, fragte Simon, als er sich um den Tisch herumbewegte und die Gläser füllte. »Vor Rachels Matzebällchen nimmst du dich besser in Acht, Sam«, warnte er. »Ihr nennt sie wohl Klöße. Die verstopfen dich 'ne ganze Woche lang!«
May sah, wie das Wachs herabtropfte und sich am Fuß des Kerzenhalters zu einer kleinen, hart werdenden Lache sammelte. Zum Abschluss der Mahlzeit trug Sarah die Lokschenkugel auf, einen süßen Auflauf mit Nudeln. Simon verkündete, der Vanillegeschmack sei noch köstlicher als Rachels köstliche Lokschenkugel mit Orangengeschmack, die sie in der Woche zuvor zubereitet hatte. Das Zimmer war von dem Glücksgefühl erfüllt, das man empfindet, wenn man sich in der Gesellschaft der anderen wohlfühlt. Rachel beherrschte die Runde, ohne Unterlass war sie mit dem Gebärdenspiel ihrer Hände beschäftigt, das ihre Rede begleitete.
»Seid vorsichtig, wenn ihr auf die Straße hinausgeht, hörst du, May? Du musst dein Portemonnaie festhalten, May, und deine Chauffeursmütze aufbehalten. Die verleiht dir ein Aussehen, als wüsstest du, worauf's ankommt. Sonst wird dir irgendein Meschuggener die Augen auskratzen, wenn du dich nicht vorsiehst.«
Am folgenden Abend besuchten Nat und Sarah mit ihren Gästen das Queen's Arms in der Nähe der Petticoat Lane. Sie wollten wissen, wie sich ihre Arbeit anließ, doch May achtete darauf, außer der Schönheit des Wagens nicht allzu viel preiszugeben, erinnerte sie sich doch an Sir Philips Mahnung, die erste Regel sei Diskretion. Der Wirt, Daniel oder Danny Boy, wie jedermann ihn nannte, war bei seinen Stammgästen allseits beliebt. Er war ein stattlicher Kerl, ein Jude, der ursprünglich aus Liverpool kam, indes in den verschiedenen Pubs, in denen er sein ganzes Erwachsenenleben über gearbeitet hatte, einen irischen Akzent aufgeschnappt hatte. Mit seinem mittig gescheitelten, robbenfellglatten schwarzen Haar, seinem scharf geschnittenen Schnurrbart und einer Statur, bei deren Anblick andere Männer vor Neid erblassten, hatte er das gütigste Herz. Der Pub war oft der wärmste Platz, wo man sich, wenn man keine Arbeit hatte, an einem Winternachmittag aufhalten konnte. Die Armen, die Einsamen, die Verzweifelten, die sich von Schmalzbrot ernährten und keinen Penny erübrigen konnten, um das Gasöfchen anzuzünden, sie alle zog es in die einladende Wärme des Queen's Arms. Danny überging keine Notlage, ebenso wenig wie seine sanftmütige Frau Ruth. Infolgedessen wimmelte es im Pub stets von Sonderlingen und glücklosen Menschen, die zuversichtlich waren, ein freundliches Wort oder ein Stück Kuchen zu ergattern. An den meisten Samstagen war der Pub überfüllt, und bei Mays und Sams erstem Besuch mussten sich die vier durch die gedrängten Reihen der Trinker mit ihren Schiebermützen kämpfen. An der langen Eichenholztheke saß ein kleiner, etwa acht Jahre alter Junge und schlenkerte mit den Beinen. Seine Knie waren aufgestoßen und zerschrammt, ganz so, wie es sich für Angehörige seiner Generation gehörte.
»Hallo, Howard«, sagte Nat. »Wie war die Schulwoche? Gut? Ich wette, du hast dich bei deinen Lehrerinnen eingeschmeichelt.«
Dannys und Ruths jüngster Sohn errötete.
»Mach schon, Hoppy Teddy, rück mal 'n Stück«, sagte Nat zu einem Mann mit Holzbein, der an einem Kotelett nagte.
Hinter dem Tresen standen drei gerahmte Fotos. Das erste zeigte Königin Mary. Sie trug die vertraute fünffache Perlenkette, die gewohnheitsmäßig über ihrer imposanten
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