Als Mrs Simpson den König stahl
einer düsteren Höhle gefangen zu sein, die mit farblosen Spinnweben verhängt war, großen Strähnen des Kummers, die nur darauf warteten, dass sie sich darin verfing. Evangelines Sorge um Joan war frei von dem hohlen, gelangweilten Mitleid, das Hinterbliebene sonst an den Tag legten, daher fühlte sich Joan in der Lage, ihr ihre Gefühle anzuvertrauen, zu weinen, sogar zu lachen, besonders aber sich mit unverhohlener Freiheit zu erinnern.
Joan räumte ein, dass es viele Dinge gab, für die sie dankbar war. Sie führte ein Leben, das, von außen betrachtet, gesegnet schien. Doch die Schwere, die sie nach unten zog, wenn sie am wenigsten damit rechnete, war etwas, was kein Ehemann, kein Sohn, keine Tochter wirklich nachempfinden, geschweige denn verhindern konnte. Sie hatte die Gewohnheit entwickelt, über die nun schon zwei Jahrzehnte zurückliegenden Ereignisse nicht zu sprechen. Sie fürchtete sich davor, eine Szene zu machen, und doch beeinträchtigte dieser Hang, sich allem zu entziehen, allmählich ihr Verhältnis zu Philip.
Tagsüber lenkte sie sich mit diversen Beschäftigungen ab. Doch nachts hielt die Unruhe sie oft wach. Nicht selten verließ sie ihr Bett und stahl sich in ein leeres Gästezimmer, wo sie ihr Schluchzen in einem Kopfkissen zu ersticken versuchte. Wenn sie die endlosen Korridore ihrer nächtlichen Gedanken durchstreifte, fand sie sich oft in den staubigen, vernachlässigten Dach
kammern ihrer Kindheitserinnerungen eingeschlossen. Diese Erfahrungen abermals durchleben zu müssen, selbst die glücklichen, war schmerzhafter als jedes körperliche Leid, das sie erfahren hatte, einschließlich der Geburt ihrer zwei Kinder. Immerhin hatten diese Schmerzen einen bestimmten Zweck. Sie fand oft keinen Schlaf. Andere Male sank sie vor Erschöpfung in tiefe Bewusstlosigkeit. Einmal war sie, wie sie ihrer Patentochter anvertraute, aus unruhigen Träumen erwacht und hatte gesehen, wie ihr Mann ihr eine Feder unter die Nase hielt.
»Ich wollte nur wissen, ob dir etwas fehlt, Liebling«, hatte er gesagt, und als er, sichtlich beschämt, leicht errötete, fielen ihm seine überlangen Haare in die Augen.
Fast ein Monat war vergangen, seit die Thalassa angelegt hatte, und Evangeline hatte Wallis weder gesehen noch von ihr gehört. Dabei hatte sie ihr doch den Tag ihrer Ankunft und die Adresse der Blunts genannt. Als sie sich gerade überwinden wollte, die Schulfreundin anzurufen, die sie so lange nicht gesehen hatte, starb König George V . Und damit veränderte sich alles .
Es hatte kaum Anzeichen gegeben; noch fünf Tage vorher war der König auf seinem Pferd ausgeritten. Philip erzählte Evangeline von den überschwänglichen Straßenfesten anlässlich seines Thronjubiläums im letzten Sommer, von denen noch immer in den Pubs und Clubs der ganzen Stadt geredet wurde. Die Männer hatten Hüte getragen, die aus dem Stoff der Nationalflagge gefertigt waren, Kinder Bonbons gegessen, die in mit der Nationalflagge bedruckte Papierchen gewickelt waren. Sogar die Fingernägel einiger Frauen waren mit Miniaturkronen bemalt. Und in den Straßen hatten in farbenfrohem Überfluss rote, weiße und blaue Wimpel geflattert. Philip war sichtlich betrübt über den Tod des alten Königs. In aller Deutlichkeit schilderte er seiner amerikanischen Besucherin die große Zuneigung der Briten für das Königspaar, welches das Land durch
den Ersten Weltkrieg und die darauf folgenden kritischen Jahre gesteuert hatte. Mit König George und Königin Mary am Ruder hatte man an diesem einen Tag der Freude und der Prachtentfaltung die Wahrheit fast vergessen können: dass das Land noch immer mit Armut, Arbeitslosigkeit und der Angst vor einer Rückkehr internationaler Konflikte zu kämpfen hatte.
Die telefonische Einladung, Fort Belvedere zu besuchen, erging zwei Wochen nach dem Ableben des alten Königs. Wallis entschuldigte sich bei Evangeline, dass sie sich erst so spät mit ihr in Verbindung gesetzt habe. Sie habe schrecklich viel zu tun gehabt. Doch in den nächsten ein, zwei Tagen werde sie höchstwahrscheinlich allein sein. Ernest habe seine Rückkehr von einer Geschäftsreise nach Amerika verschoben, da er ihrer alten Schulkameradin Mary Kirk begegnet sei. Obwohl Mary nun schon seit über zwanzig Jahren mit einem französischen Versicherungsmakler namens Mr Jacques Raffray verheiratet sei, zeige sich dieser nur selten mit ihr in der Öffentlichkeit, und offenbar sei Mary froh gewesen, Ernest über den Weg zu
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