Als Mrs Simpson den König stahl
laufen und so Gelegenheit zu haben, Neuigkeiten über Wallis zu erfahren. Und außerdem, wäre es nicht ein großer Spaß, wenn Wallis und Evangeline Zeit miteinander verbringen könnten, ohne dass ein Dritter ihrem lange herbeigesehnten Wiedersehen im Weg stünde?
»Oh, und noch etwas, bevor ich auflege!«, hatte Wallis den Anruf mit einer nachträglichen Überlegung beendet. »Falls du dir darüber den Kopf zerbrochen haben solltest, es kommt nicht in Frage, dass du Trauerkleidung einpackst. Der Prinz, ich meine der König, hat das Tragen von Trauerkleidung im Fort ausdrücklich verboten. Er mag es nicht, wenn wir alle wie schwarze Amseln herumlaufen! Ich kann dir gar nicht sagen, Vangey, wie entzückt ich über diese Regel bin, habe ich doch, seit ich den Can-Can aufgegeben habe, keine schwarzen Strümpfe mehr getragen!«
Auf der Fahrt von St John's Wood nach Fort Belvedere war Evangeline ziemlich nervös gewesen. Wiggle hatte unter einer seiner Magenverstimmungen gelitten und schon in der Eingangshalle so mitleiderregend ausgesehen, dass Evangline seine Leine gegriffen und ihn in den Wagen getragen hatte. Der kleine tröstliche Körper auf ihrem Schoß hatte sie beruhigt. In letzter Zeit hatte es am Esstisch in St John's Wood mehr Gerede denn je über Mrs Simpson gegeben und über die Komplikationen, die ihr Verhältnis mit dem neuen König unweigerlich auslösen würden. Der Kreis um Philip nahm regen Anteil an Königin Marys Trauer um ihren verstorbenen Gemahl. Deren liebste Freundin Lady Airlie hatte verlauten lassen, dass sich die Königin hinter einer »Fassade der Selbstbeherrschung« verstecke, dass ihr die romantischen Absichten ihres ältesten Sohnes jedoch schreckliche Sorgen bereiteten. Joans Informationsquellen zufolge hatte George V . die Sorgen seiner Gemahlin geteilt. Als er im Vorjahr die Bitte des Prinzen von Wales ausgeschlagen hatte, Mr und Mrs Simpson zu einem Staatsbankett einzuladen, war es zu einem regelrechten Familienstreit gekommen, und der Thronerbe hatte, wie Augenzeugen berichteten, seinen Kopf gegen die mit zitronenfarbener Seide ausgeschlagenen Wände des Privatgemachs seiner Mutter geschlagen.
Evangeline war sich der ständigen Ermahnungen bewusst, nichts davon vor der Dienerschaft zu erörtern. » PD «, murmelte Joan immer, wenn Mrs Cage das Tablett mit den abendlichen Cocktails in den Salon trug, und legte dabei den Finger auf die Lippen. Es gab noch andere Themen, die unter die Kategorie Pas devant fielen. Sex war eines davon. Geld ein anderes. Da diese beiden Themen für viele von Joans Freundinnen von höchstem Interesse waren, stockte die Unterhaltung häufig, wenn der Zeitpunkt gekommen war, die Vorhänge zuzuziehen, das Geschirr abzuräumen oder Holz im Kamin nachzulegen. Mitunter vergaßen sich die Gäste, darunter auch Evangeline selbst, und redeten wahllos weiter. Am nächsten Tag wurden die be
troffenen Hausangestellten dann ins Arbeitszimmer beordert und ermahnt, alles, was sie gehört hatten, schnellstens zu vergessen.
Als der Rolls-Royce über die Landstraßen nach Sunningdale fuhr, versuchte Evangeline sich vorzustellen, wie sich wohl die Frau im Mittelpunkt all dieses Geredes fühlte, und sie fragte sich, ob das Thema schon bei ihrer ersten Begegnung fallen würde. Evangeline nahm sich vor, es jedenfalls nicht selbst anzusprechen, solange die Freundin es nicht tat.
Obwohl Joan berichtet hatte, Philip habe Cropper wegen seines Hangs zur Whiskyflasche durch einen ausgeglicheneren Fahrer ersetzen müssen, hatte Evangeline, was für sie ganz uncharakteristisch war, dem neuen Stelleninhaber hinter dem Steuerrad von Blunts marineblauem Rolls-Royce nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Evangeline war stets neugierig, wenn sie jemandem begegnete, den sie noch nicht kannte, sei es ein König, ein berühmter Dramatiker oder ein bloßer Angestellter. Als sie einmal mit Joan im Auto saß, um sich den langgehegten Wunsch zu erfüllen, die berühmte Lebensmittelabteilung von Harrods aufzusuchen, hatte sie von Joan viel über die glänzende Limousine erfahren, in der sie jetzt saß. Philip, der seit der Vorkriegszeit für Automobile schwärmte, hätte einen rassigeren Bentley vorgezogen, doch dessen Rücksitz bot ihm zu wenig Platz zum Ausbreiten seiner Arbeitspapiere, sodass man sich für den konventionelleren Rolls-Royce entschieden hatte.
Während sie über das Fahrzeug also bestens Bescheid wusste, hatte sie über die Person, die am Steuer saß, bislang nichts
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