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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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jeder andere Teil des Tages.
    Während der Arbeitswoche, die von einem anstrengenden Terminplan gefüllt war, blieb Mays Stimmung jedoch stets beschwingt. Es machte ihr Spaß, Sir Philip immer besser kennenzulernen, dessen außerplanmäßige juristische Tätigkeit sich seit Jahresanfang verdoppelt hatte. Er war dazu berufen worden, dem juristischen Team des neuen Königs beratend zur Seite zu stehen, und May empfand es als ein Vertrauensprivileg, wenn sie die einschlägigen Dokumente in den Händen hielt. Sie freute sich auf die Abende, wenn sie sich den anderen Chauffeuren zugesellte, die darauf warteten, dass ihre Dienstherren aus dem Unterhaus kamen. Anfangs hatten sich einige Fahrer abschätzig darüber geäußert, dass in ihrem ureigenen Metier eine Frau arbeitete, doch Mays umfassende Kenntnisse über Automotoren, das wahre Herzstück ihres Berufs, ließ die Skeptiker bald verstummen. Selbst Taxifahrer hatten von Miss Thomas gehört, kurbelten an einer Verkehrsampel gelegentlich die Scheibe herunter und boten ihr eine Tasse Tee in einem der grün gestrichenen Taxistände an. Die älteren Fahrer achteten darauf, dass es zu keinerlei Ungehörigkeiten kam, obwohl die Zahl der Flirts nicht unbeträchtlich war. Alle stimmten darin überein, dass Miss Thomas etwas Besonderes war.
    An den meisten Abenden wartete May, die Mütze in der Hand,
an der Beifahrertür des Rolls-Royce auf Sir Philip, der, den Evening Standard unter den Arm geklemmt, aus dem Haupteingang des Unterhauses herausgestürzt kam und sich auf den Ledersitz fallen ließ. War er allein, zog er es vor, vorn neben May zu sitzen, die zuweilen die überraschten Blicke der Passanten auffing. Mal vertiefte er sich in einen Zeitungsbericht, mal schaute er nur stumm vor sich hin. May hatte gelernt, seine Stimmungen zu deuten. Er konnte mitunter den Eindruck von Unnahbarkeit, ja von Hochmut vermitteln. Aber er hatte nichts von der dünkelhaften, selbstgerechten Art seiner Kinder. Oft erkundigte er sich, wie May zurechtkam. Sie hatte ihm erzählt, wie stolz sie auf ihren Bruder Sam war, der als Rekrut der Freiwilligenmannschaft für die bevorstehende Jungfernfahrt der Queen Mary ausgewählt worden war. Er sollte der Crew eines kleinen Marineboots angehören, das einen Admiral von Portsmouth nach Southampton bringen würde, damit er auf dem neuen Linienschiff den Atlantik überqueren konnte.
    Sir Philip freute sich über die Nachricht von Sams Beförderung. Die Queen Mary versprach der Inbegriff von Prachtentfaltung zu werden. Unlängst hatte Sir Philip das Schiff auf einer Party in Sussex mit Duncan Grant erörtert. Grant war ein sehr einnehmender Mann, der nahe Cuckmere in Charleston wohnte, einem Gehöft, das von der ausladenden Weite der umliegenden South Downs eingehüllt war. Er lebte dort mit Vanessa Bell, und die Direktoren der Cunard-Reederei hatten bei den beiden Künstlern Gemälde zur Ausschmückung der riesigen Wandflächen in Auftrag gegeben, die sich auf jedem Deck des Schiffes fanden. Vanessa hatte, inspiriert von Kindheitserinnerungen an die Londoner Kensington Gardens, in deren Nähe sie zusammen mit ihren beiden Brüdern und ihrer Schwester Virginia aufgewachsen war, eine Parkszene gemalt. Dieses urenglisch anmutende Gemälde mit zwei Kindern und ihrem Kinderfräulein, die an einem Sommertag am Fuße eines Springbrunnens spielen, sollte in einem privaten Speisesaal der Ersten Klasse auf
gehängt werden. Mr Grants Aktmalereien dagegen waren verworfen worden, da sie »dem eleganten Geschmack des neuen Schiffes nicht angemessen« seien. Daraufhin hatte sich der Maler mit der Leitung der Cunard-Reederei entzweit und Sir Philip auf der Party über seine maßlose Empörung angesichts solcher Zensurmaßnahmen nicht im Zweifel gelassen.
     
    Am Tag der Jungfernfahrt der Queen Mary lenkte May den Rolls-Royce zu den Hafenanlagen von Southampton. Lady Joan war als eine von mehreren Abgeordnetengattinnen eingeladen worden, an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Sie hatte Evangeline gebeten, sie zu begleiten, da sie wusste, dass der Anlass genau die Art britische Landpartie zu werden versprach, die Miss Nettlefold so sehr genoss. Mrs Simpson dagegen bedauerte, sie nicht in Southampton treffen zu können.
    »Sie bleibt in London, um dem König bei den letzten Vorbereitungen für ein wichtiges Dinner zu helfen, das für heute Abend im York House geplant ist«, erklärte Miss Nettlefold Lady Joan auf der Fahrt zu Harrods, wo sie ihre neuen Hüte für die

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