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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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wollte.
    »Ach, Mr Richardson wird das schon hinkriegen«, sagte sie fröhlich. »Und jetzt muss ich nach London, um meinen Bruder zu sehen. Wären Sie wohl so freundlich, mich zum Bahnhof zu bringen, Mr Hooch?«
    Wie an dem Tag, als sie einander zum ersten Mal begegnet waren, standen Mr Hooch und May ein wenig später zusammen am Bahnhof. Er reichte ihr die Hand, und sein Handschuh
hinterließ einen kleinen Ölfleck auf ihrer Hand, doch kein Makel konnte Mays freudig erregte Stimmung dämpfen.
    »›Eben, eben, schön, schön‹, wie wir Soldaten früher zu sagen pflegten. Passen Sie auf sich auf, meine Liebe. Ich muss Ihnen gestehen, dass ich mich schon auf Ihre Rückkehr am Montag freue.«
    Als der Zug nach London ratterte, dachte May kurz darüber nach, wie erleichtert sie war, dass Duncan immer gerade noch davor haltgemacht hatte, sein schändliches Interesse an seiner Tochter bis zum Letzten auszuleben. Was immer er ihr angetan hatte, ihre wesentliche Reinheit hatte er unversehrt gelassen, sodass ein anderer sie entdecken konnte. Dass Mr Hooch Lottie erwähnte, hatte ihr an diesem Nachmittag nichts anhaben können, und es dauerte nicht lange, bis sie sich wieder den Erinnerungen an Julians Abschiedskuss überließ und an sein Versprechen, bald wieder bei ihr in Cuckmere zu sein.
    Das Haus in der Oak Street roch muffig, als May die Tür aufschloss. Obwohl es blitzblank war, öffneten die Castors und die Greenfelds nur selten ein Fenster, selbst im Sommer nicht, und in den kleinen Fenstern im Erdgeschoss fingen sich Kochdünste und Simons Pfeifenrauch. May freute sich, dass Sam zu Hause war. Er hatte sich einen Tag Urlaub genommen und machte gerade eine Tasse Tee.
    »Lass uns vor dem Abendessen noch nach draußen gehen, in den Park«, drängte sie ihn, zog ihn von der Teekanne weg und reichte ihm seinen Mantel. »Ich hab dich seit einer Ewigkeit nicht gesehen und muss dir eine Menge erzählen.«

15
    In letzter Zeit hatte Evangeline sich so manches Mal einsamer gefühlt als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt seit ihrer Ankunft in England. Wiggle gab es nicht mehr, ihre Patentante war bettlägerig, und die Zerstreuungen, die bis dahin ihre Tage in London ausgefüllt hatten, wurden immer seltener. Spaziergänge im Park, Besuche beim Damenschneider, Ausflüge ins Kino und sogar die Naschereien in der Patisserieabteilung von Fortnum & Mason verloren ihren Reiz, wenn es niemanden mehr gab, mit dem man sie genießen konnte.
    Das Haus in der Hamilton Terrace in St John's Wood wirkte verlassen. Zwar verbrachte Philip die Nacht oft dort, ließ sich aber umgehend nach einem frühen Frühstück zur Arbeit fahren und kehrte nur zurück, um das Abendessen einzunehmen, bevor er seinen Gesellschaftsanzug anlegte und wieder ausging. Selbst Julian schaute nicht mehr vorbei. Wie Evangeline von May erfahren hatte, besuchte er dafür Cuckmere ziemlich oft. Sie war May gegenüber nicht mehr ganz so freundlich gestimmt, seit sie deren unangemessenes und im Grunde lächerliches Bedürfnis bemerkt hatte, Julian überallhin zu folgen: hinauf in den Norden, hinab in den Süden, über die Felder und in die Ferne. Der arme Julian. Diese flachbusige Frau musste ihn wahnsinnig machen. Jedenfalls war May nahe daran, die Anstandsgrenzen beruflicher Beziehungen zu überschreiten. Evangeline hatte sogar erwogen, die Angelegenheit Philip gegenüber zu erwähnen, war sich allerdings nicht sicher, ob sie die Antwort bekommen würde, die sie hören wollte.
    Rupert und Bettina kamen und gingen nach Belieben, waren aber so fade wie immer, besessen von ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen. Zu allen Nachtstunden erschienen sie mit ihren großmäuligen Freunden. Einmal hatte Bettina sie eingeladen, sie und ihre Freundin Charlotte in loco parentis zum Garten
fest im Buckingham Palace zu begleiten, wo sie dem König offiziell vorgestellt werden sollten, aber das war ein Reinfall gewesen. In Wirklichkeit hatte Evangeline die Mädchen bei diesem Anlass sogar mehr bedauert als sich selbst. Die Präsentation sollte der Höhepunkt ihres Debütantinnenjahres sein. Die Anproben weißer Seidenkleider und die Diskussionen über gefiederten Kopfputz hatten Evangeline schon zu langweilen begonnen. Und dann hatte es auch noch geregnet. Mehr als hundert Mädchen hatten auf ihren großen Moment gewartet, hatten im Kopf den Vorstellungsknicks geprobt, fächerwedelnd versucht, die Aufregung ihrer Mütter zu ignorieren, und ihr Bestes getan, um ihre Federn trocken zu

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