Als Mrs Simpson den König stahl
Hamilton Terrace eintraf, wusste Evangeline, dass sie die Einladung in der Tasche hatte. Versicherungen, die Wallis am Telefon aussprach, lösten sich oft in Rauch auf, aber wenn auch auf einen Anruf wenig Verlass war, das geschriebene Wort zählte. Wallis hatte ein Postskriptum hinzugefügt: Es wäre hilfreich, wenn Evangeline sie auf der Rückreise aus den Ferien zu einem Einkaufsbummel durch Paris begleiten könnte. Offenkundig war Mrs Simp
son eine Frau geworden, die eine Hofdame benötigte, und Evangeline akzeptierte die Stellung gern, auch wenn Wallis so taktvoll war, nicht auszusprechen, dass genau dies die von ihr erwartete Dienstleistung war. Für einen so herrlichen Urlaub auf der Jacht würde sie ein wenig abnehmen müssen, gelobte sich Evangeline. Bei der Vorstellung, sich vor so schlanken Frauen wie Wallis oder gar der beängstigenden Lady Diana Cooper, deren Name ebenfalls auf der Gästeliste für die Kreuzfahrt stand, in spärlicher Badetracht zeigen zu müssen, war ihr merklich beklommen zumute.
An einem Freitag Mitte Juli besprach Evangeline bei einem seltenen Mittagessen in den neuen Gemächern des Königs im Buckingham Palace mit Wallis die Feriengarderobe. Der König hatte das graue Gebäude noch nie gemocht, er assoziierte es mit den muffigen Jahren seiner Kindheit und verbrachte infolgedessen so viel Zeit wie möglich im Fort. Amtspflichten wie die alljährliche Geburtstagsparade oder die Verleihung von Medaillen erforderten jedoch in regelmäßigen Abständen ein paar Übernachtungen in der Londoner Residenz, und Wallis begleitete ihn oft dorthin.
An diesem Tag brachten ihre ausladenden Gesten das mit Rubinen und Diamanten besetzte Armband zur Geltung, das ihr Handgelenk umschloss, und an ihrer marineblauen Jacke steckte eine riesige Diamantbrosche, die Evangeline sich nicht erinnern konnte früher schon einmal an ihr gesehen zu haben.
»Vielleicht Geschenke zum vierzigsten Geburtstag«, überlegte Evangeline und drehte den Siegelring am kleinen Finger ihrer linken Hand, ein Konfirmationsgeschenk ihrer Patentante Joan. Der Finger daneben wirkte nackter denn je. Während Evangeline noch über ihren Mangel an Juwelen nachdachte, schob sich Wallis auf dem Sofa näher an sie heran, bis sie dicht neben ihr saß, ihren schlanken Schenkel an Evangelines stämmigen gepresst.
»Meine liebe Vangey, vielleicht sollten wir darüber nachden
ken, dir einen neuen Freund zu besorgen, einen Hund? Ich nehme an, du vermisst Wiggle immer noch. Aber wir haben frohe Nachrichten. Slipper wird bald Vater. Ich möchte dich ein bisschen glücklicher machen, Vangey, mit einem neuen Welpen. Du wirkst immer so verspannt.«
Und plötzlich sah Evangeline ihre ungeschmückte Hand von Fingern umklammert, an denen funkelnde Edelsteine prangten, und die körperliche Berührung versetzte sie augenblicklich in jene Zeit vor zwei Jahrzehnten zurück, als sich peinliche Ereignisse zugetragen hatten. Evangeline täuschte eine jähe Hitzewallung vor, erhob sich und trat ans offene Fenster.
Unter ihr auf der Mall schien alles ordnungsgemäß. Die Unionsflagge wehte, und eine kleine Menschenmenge wartete darauf, einen Blick auf den König zu erhaschen, der jeden Moment vorbeireiten musste. Früher am Nachmittag hatten die weiten Flächen des Hyde Park eine ideale Bühne für die Präsentation der Königsflagge Edwards VIII . geboten. Drei Garderegimenter hatten sich postiert, Pferde schnaubten, stampften mit den Hufen und scharrten im Gras. Helme glänzten im Sonnenlicht. Das Gewicht der ausgewachsenen Blätter an den Bäumen ließ London im Juli ungepflegt erscheinen. Durch den Wellington Arch am Hyde Park Corner marschierte eine Militärkapelle; ihre Trommeln und Trompeten gaben den Royalisten, die am Constitution Hill warteten, das Zeichen, dass der König nahte.
Als die kleine Gestalt in scharlachroter Galauniform und Bärenfellmütze unter dem Triumphbogen hindurchritt, passierte sie einen Mann in braunem Anzug und mit feschem Schnurrbart, der eine Zeitung in der Hand hielt. Plötzlich ließ der Mann die Zeitung fallen, und es kam ein Revolver zum Vorschein, den er direkt auf Edward VIII . richtete. Mit beeindruckender Geschwindigkeit schlug der Kriminalbeamte, der zum persönlichen Schutz des Königs abbestellt war, dem Mann die Waffe aus der Hand, und ein Polizist stürzte herbei, um den Attentäter festzunehmen.
Den ganzen Tag über gingen Kriminalbeamte in den Privatgemächern des Königs ein und aus und bemühten sich,
Weitere Kostenlose Bücher