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Als Mrs Simpson den König stahl

Als Mrs Simpson den König stahl

Titel: Als Mrs Simpson den König stahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Nicolson
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sich eine massige Gestalt ab. Es war unverkennbar Miss Evangeline Nettlefold, die da auf sie zukam. Als sie den Mann mit der Mütze erkannte, breitete sich ein freudiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus.
    »Ich habe versucht, Sie telefonisch zu erreichen«, rief sie ihm zu und hob die Hand, um ihn zum Abbremsen zu bewegen. »Ich habe Karten für das Ballett nächste Woche in Covent Garden. Nur wir zwei, um das Ende Ihrer Prüfungen zu feiern.«
    »Ich kann leider gerade nicht anhalten«, rief Julian, als sie an ihr vorüberflitzten. »Wir gehen schwimmen.«
    Um nicht überfahren zu werden, sah Miss Nettlefold sich gezwungen, so schnell zur Seite zu treten, dass sie keine Zeit mehr hatte, dem dampfenden Kuhfladen auszuweichen, in dem ihr neuer, robuster Spazierschuh nun mit glitschiger Leichtigkeit versank.
    May und Julian folgten den scharfen Biegungen des Ufers, an dem kleine Wasserlilien das sumpfige Wasser aufsogen und buttergelbe Blüten hervorbrachten, und gelangten zur Flussmündung. In der Luft lag der Geruch von wilder Minze. Sie legten die Fahrräder auf die Seite und sprangen über ein dickes schwarzes Kabel, das aus dem Meeresboden auftauchte und sich wie ein Reptil über die Kieselsteine schlängelte, bevor es in der Mauer einer Hütte verschwand, die gut fünfundzwanzig Meter entfernt errichtet worden war.
    »Sir Philip hat mir davon erzählt«, sagte Julian. »Trotzdem kann ich es fast nicht glauben, dass eine Telefonleitung unter
dem Meer die ganze Strecke von Dieppe bis hierher nach Cuckmere führt. So viel Ausrüstung für die redseligen Franzosen! Sollen wir unsere Handtücher hier bei der Hütte lassen?«
    Am Morgen hatte May in der Absicht, allein schwimmen zu gehen, unter ihrem Sommerkleid nur ihr altes verblichenes Badekostüm angezogen. Julian hatte sich gar nicht auf einen Schwimmausflug vorbereitet, aber mehrere Trimester, in denen er nahe dem Magdalen College nackt in die Isis gehüpft war, hatten seine Hemmungen beseitigt. Dann fiel ihm allerdings das ungewöhnliche Kleidungsstück ein, das er an diesem Tag zufällig unter seiner kurzen Hose trug. Ein paar Wochen nach der schrecklichen Abendgesellschaft in Bryanston Court, in einem jener gestohlenen Augenblicke, da Evangeline erneut versuchte, ihn für sich zu gewinnen, hatte sie ein Päckchen aus ihrer Handtasche geholt und es Julian sachte in den Schoß gelegt.
    »Ich hoffe, Sie haben nichts gegen ein so, wie soll ich sagen, ›persönliches‹ Geschenk. Mein Bruder hat festgestellt, dass dieses Kleidungsstück sein Leben von Grund auf verändert hat, da habe ich ihn gebeten, in unser örtliches Kaufhaus zu gehen und Ihnen eins zu kaufen.«
    »Was für eine Überraschung!« Mehr fiel Julian nicht ein, als er das Einwickelpapier entfernte und eine Badehose mit Gummizug, horizontalem Schlitz und einer Art Vordertasche erblickte, die einem kleinen Kängurubeutel ähnelte.
    »Was du für den Sommerspaß heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!«, murmelte Evangeline etwas holprig vor sich hin und drängte ihre Wange an Julians Mund, unbeirrt durch die Verzögerung, die sie erdulden musste, bis sie endlich einen flüchtigen Dankeskuss empfing.
    Evangelines unwillkommenes Geschenk hatte lange unberührt in einer Schublade gelegen, doch als Julian an diesem Morgen vergeblich nach sauberer Unterwäsche suchte, war er wieder darauf gestoßen. Er hoffte, dass May nicht allzu genau hinsah, als er seinen Körper straffte und sich innerlich darauf vorbe
reitete, einen tiefen Hechtsprung in den letzten Abschnitt des Cuckmere River zu wagen. Einige hundert Meter von ihrem Standort entfernt wellten sich oberhalb des Meeressaumes einige aneinandergereihte weiße Kreidefelsen, die sieben graziöse Anhöhen bildeten, bevor sie im Beachy Head gipfelten. Dort, wo der Höhenunterschied zu den Wogen, die donnernd gegen die Felsen krachten, mehr als hundertfünfzig Meter betrug, wirkte das Meer am schönsten und zugleich am bedrohlichsten.
    Als Julian und May an dem rasch dahinströmenden Fluss standen, waren sie allein, bis auf eine großgewachsene, elegante Frau, die mit einem aufgeschlagenen Buch im Schoß am gegenüberliegenden Ufer im Gras saß und aufs Meer hinausblickte. Sie trug eine lange blassblaue Leinenjacke und hatte die Hände tief in den Taschen vergraben. Plötzlich blickte sie auf und sah zu May und Julian herüber. Es war Mrs Woolf. May winkte ihr einen Gruß zu, den sie unverzüglich erwiderte.
    Als Julian sie erkannte, starrte er

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