Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)
nun diese Ansprache, in der meine Sprechstörung, die ich zu jenem Zeitpunkt doch fast schon überwunden hatte, als Waffe gegen mich und mein Vorhaben eingesetzt wurde.
Der Rektor musste demgemäß von meinen Lehrern, die mich bis dahin vergeblich von meinen Plänen hatten abbringen wollen, über mein Stottern informiert worden sein. Diese vermeintlich friedliebenden Pädagogen hatten sich hinter meinem Rücken eine perfide Strategie ausgedacht, um mich – wie sie es meinten – zu beschützen. Dabei hatten sie mich mit dieser Finte am Ende nur zerstört …
Was nach diesem Gespräch weiter geschehen ist, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich bin schweigend aus dem Büro des stellvertretenden Rektors und zurück in den Unterricht gegangen. Und ich denke heute, dass ich an diesem denkwürdigen Tag wohl kein Wort mehr gesagt haben dürfte. Ich weiß nur eines: Ich hatte später keinem Menschen auch nur ein Wort von diesem Gespräch erzählt.
Meine Eltern wären mit Sicherheit auf die Barrikaden gegangen, wenn sie davon erfahren hätten, denn dieser Mensch hatte definitiv falsch gehandelt hatte – und das ist noch einigermaßen milde ausgedrückt. Ich bin an diesem Tag nach Hause gekommen und war am Boden zerstört. Und wieder still – mir hatte es buchstäblich die Sprache verschlagen.
Meine Mutter berichtete später, dass ich eines Tages plötzlich den Wunsch geäußert hätte, nicht mehr zur Bundeswehr gehen zu wollen. Sie hatte mich nie gefragt, wie ich zu dieser Entscheidung gekommen war. Und wenn sie gefragt hätte – die Antwort, die für mich eine sehr bittere war, wäre ich ihr wohl schuldig geblieben. Ich saß die restliche Schulzeit einfach ab und machte immer weniger Musik.
Ich saß zwar immer noch vor meinen Instrumenten, aber die Leidenschaft war verloren gegangen. Irgendwie war es wie beim Monopoly: »Gehen Sie zurück auf Los!« Da war ich wieder – still, zurückhaltend und schüchtern, also fast wieder der Alte …
Vor nicht allzu langer Zeit bekam ich einen Brief von meiner ehemaligen Schule. Nachdem ich einmal öffentlich von dieser doch sehr prägenden Erfahrung erzählt hatte, wollte man sich in aller Form bei mir entschuldigen. Man hoffe, so hieß es, ich könne meine Schule dennoch in guter Erinnerung behalten. Was soll ich dazu sagen? Man kann natürlich immer hoffen. Aber in diesem besonderen Fall ist es doch sehr schwer …
Im Kalkwerk
Es ist schon merkwürdig. Ich mag 16 Jahre gewesen sein – genau kann ich es nicht mehr sagen. Aber da war dieser Traum. Eines Nachts. Ich sah mich eine Treppe hochgehen. Auf meinen Schultern ein langer, schwarzer Umhang. Als die Treppe zu Ende ist, stehe ich auf einer Bühne und blicke in ein riesiges Lichtermeer. Es sind Menschen, die Feuerzeuge in ihren Händen halten und mich anblicken, wie ich eine Melodie singe. Mit hoher Stimme …
Und dann wurde ich wach. Ich hatte geträumt, wie ich als Musiker auf einer Bühne stehe und singe. Und was ich da gesehen hatte, fühlte sich gut an. Es war ein wundervolles Gefühl, ein Musiker zu sein. Auf einer Bühne zu stehen, zu singen und die Menschen dort unten hören zu. Und das Wichtigste: Sie mögen das, was ich da mache, und halten Feuerzeuge in die Luft. Ein Traum, ja. Aber genau das wollte ich tatsächlich sein: ein Musiker …
Meine Ausbildung zum Zahntechniker begann an einem Montagmorgen. Die Schule hatte ich mit guten Noten zu Ende gebracht, und nun sollte ich also doch etwas Vernünftiges werden. Zahntechniker. Wie mein Bruder. Ein anständiger, solider Beruf – keine Träume, keine Hirngespinste. Etwas Ordentliches und Bodenständiges in einem renommierten Zahnlabor. Keine Hirngespinste mehr!
Mein Vater hatte mir diesen Ausbildungsplatz besorgt und ich machte es ganz einfach. Jeden Morgen fuhr er mich auf seinem Weg zur Arbeit dorthin, lud mich ab, und abends nahm er mich wieder mit nach Hause. Zum ersten Mal seit Jahren hatten wir wieder etwas mehr miteinander zu tun. Zumindest im Auto. Nachdem ich das Tischtennis geschmissen hatte, waren kaum noch Anknüpfpunkte zu meinem Vater geblieben. Er hatte in seiner Welt gelebt und ich in meiner.
Meinen Traum von der Musik indes hatte ich verworfen. Ich war frustriert und gleichzeitig auch ein wenig erleichtert. Das, was ich mir immer vorgestellt und erträumt hatte, war nicht realisierbar. Der Druck, den diese Träume letztlich auf mich ausgeübt hatten, war weg. Ich sollte einen bürgerlichen Beruf erlernen und die Musik sollte ein
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