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Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)

Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition)

Titel: Als Musik meine Sprache wurde - Die offizielle Autobiografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unheilig
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45 Monate hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Diese erstaunliche Form der Naivität ringt mir bisweilen auch heute noch ein leises Lächeln ab …
    Eigentlich wurde vom ersten Tag an in der Kaserne nur herumgeschrien und die Ausbildung war zu einem großen Teil stumpfsinnig und letztlich nur darauf ausgerichtet, junge Rekruten zu quälen – schließlich herrschte Kalter Krieg und der Russe, so hieß es, könne jeden Tag in Deutschland einmarschieren. Aber es gab 1700 Mark im Monat – für einen knapp 18-jährigen Burschen ein ungeheuerlicher Betrag, der alles viel erträglicher machte. Ein hervorragendes Schmerzensgeld. Ich konnte noch gar nichts, verdiente aber richtig viel Geld. Genau so, wie ich es mir eigentlich immer vorgestellt und gewünscht hatte.
    Untergebracht waren wir in Stuben zu sechs Rekruten. In meinem Zimmer war ich naturgemäß der Jüngste, was auch kein Wunder war: Wer war schließlich so verrückt und meldete sich mit 18 Jahren freiwillig zum Bund? Eine Frage, die mir meine Stubenkollegen dann auch ständig stellten. Von den sechs Rekruten waren alle – außer mir – zwischen 20 und 30 Jahre alt. Im Grunde alles Männer, die schon voll im Leben standen, eine Ausbildung und ihren Platz im Leben bereits gefunden hatten. Und mittendrin ich, der Grünschnabel, der sich freiwillig als Zeitsoldat verpflichtet hatte.
    Und so pendelte sich das Leben bei der Bundeswehr langsam ein. Unter der Woche stand die Grundausbildung auf dem Plan, an den Wochenenden fuhr ich nach Hause und machte Musik. Meine Devise dabei war simpel, aber effektiv: Bloß nicht auffallen, sondern einfach ruhig und unauffällig mit dem Strom schwimmen und warten, bis die Grundausbildung vorbei war. Und: Schön brav das ganze Geld kassieren und immer fleißig beiseitelegen.
    Ich habe bis heute nicht verstanden, warum bei der Bundeswehr das Tragen von Uniformen grundsätzlich mit grimmigen Gesichtsausdrücken, schlechter Laune und lautem Geschreie einhergehen musste. Selbst ein profanes »Guten Morgen« hörte sich an, als hätte man etwas Schlimmes verbrochen. Vielleicht lag das alles an dem unerhört schlechten Essen – ich weiß es nicht, aber ich bin noch heute über diesen gleichsam bizarren Mikrokosmos Militär erstaunt.
    Gerade junge Menschen wie ich, die gewissermaßen direkt von Mutters Herd in die Kasernen des Landes versetzt worden waren, konnten einfach nicht verstehen, warum Mahlzeiten derart grauenhaft schmecken mussten. Auf den Speiseplänen hörte sich alles noch ganz passabel an, auf dem Teller allerdings sah es dann stets ein wenig nach totem Vogel frisch von der Straße aus. Und freitags stand stets der kulinarische Wochenhöhepunkt an: Fleischsalat. Alles, was unter der Woche übrig geblieben war, wurde wahllos zusammengeschmissen und einmal durchgerührt. Irgendwie hatte ich mir damals gewünscht, dass regelmäßig eine Portion per Kurier direkt auf die Hardthöhe in das verantwortliche Ministerium geschickt worden wäre!
    Aber während meiner Dienstzeit in Würzburg kam es dann nach ein paar Wochen zu einem merkwürdigen Zwischenfall, der mich stärker beeindrucken sollte, als ich es damals erahnen konnte. Von meinem ersten Wehrsold hatte ich mir ein neues Keyboard gekauft, das ich daraufhin mit in die Kaserne nahm, um in meiner Freizeit ein wenig Musik auf der Stube machen zu können. Eines Abends saßen wir zu dritt zusammen – ich an den Tasten, während zwei andere mit den Händen auf umgedrehten Mülleimern herumtrommelten – und machten eine kleine, allerdings sehr laute Jamsession.
    Es muss wohl eine Spur zu laut gewesen sein, denn plötzlich riss ein von uns allen gefürchteter Stabsunteroffizier wutentbrannt die Tür auf und schickte sich an, uns ordentlich zusammenzufalten. Aber der Mann hielt erschrocken inne und starrte uns verwundert an. Und dann, mit einem Mal, schlich sich ein verständnisvolles Lächeln in sein strenges, hochrotes Gesicht: »Das ist ja cool! Ihr macht diese Musik selbst?«
    Er wandte sich zur Tür und drehte sich noch einmal zu uns um und rief: »Weitermachen!«
    Dieser Unteroffizier war uns fortan milde gestimmt – und ich erstaunt. Wir hatten uns mit unserer Musik Respekt erspielt. Einen Respekt und eine Anerkennung, die ich bis dahin kaum für möglich gehalten hätte. Meine Musik hatte tatsächlich etwas bewirken können – und wenn es nur der überraschende Stimmungswechsel eines notorisch schlecht gelaunten Soldaten war …
    Die Wochen und Monate gingen

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