Als Mutter verschwand
Morgenübelkeit herumgeschlagen und uns erst kurz vor der Geburt gesagt, dass du noch ein Kind kriegst. Ich konnte dir mit nichts helfen, und als du dann zurückgekommen bist, habe ich zu dir gesagt: »Was hast du dir bloà gedacht? Drei kleine Kinder!«
Es tut mir leid, meine Tochter. Ich entschuldige mich bei dir und bei dem Kind. Es ist dein Leben, und auÃerdem konntest du dich schon immer gut konzentrieren, wenn es drum ging, Aufgaben zu bewältigen. Es war doch klar, dass du es auch diesmal können würdest. Ich habe einen Moment vergessen, wer du bist, als ich das gesagt habe. Ich entschuldige mich auch dafür, dass ich, seit ihr wieder hier seid, wahrscheinlich jedes Mal ein Gesicht gezogen habe, wenn ich dich gesehen habe. Du hattest immer alle Hände voll zu tun. Wenn ich dich besucht habe, warst du die ganze Zeit hinter den Kindern her. Du warst damit beschäftigt, herumliegende Kleidungsstücke aufzusammeln, Essen zu machen, ein hingefallenes Kind aufzuheben, einem Kind, das aus der Schule kam, die Schultasche abzunehmen, ein Kind, das mit einem lauten »Mama!« in deine Arme rannte, an dich zu drücken. Am Tag, bevor du ins Krankenhaus musstest, um dir eine Zyste aus der Gebärmutter herausoperieren zu lassen, hast du dich abgerackert, um Essen für die Kinder vorzubereiten. Du weiÃt gar nicht, wie traurig es mich gemacht hat, als ich da war, um die Kinder zu hüten, und die Kühlschranktür geöffnet habe. Da stapelte sich ordentlich das Kinderessen für vier Tage. Mit tiefen Schatten unter den Augen hast du mir erklärt: »Gib ihnen morgen die Sachen aus dem obersten Fach, Mama, übermorgen die aus dem zweitobersten â¦Â« So bist du nun mal. Ein Mensch, der sich um alles selbst kümmern muss. Deshalb habe ich gesagt: »Was hast du dir bloà gedacht?«, als du das dritte Kind bekommen hattest. Am Abend vor deiner Operation habe ich die Kleider aufgehoben, die du zum Duschen vor der Tür zum Bad ausgezogen hattest. Deine Bluse war mit Pflaumensaft bekleckert und hatte abgewetzte Ãrmelbündchen, deine Hose war ausgebeult und an der Naht aufgerissen, auf deinem alten Büstenhalter waren hunderttausend Knötchen, und ich konnte nicht mehr erkennen, was für ein Muster deine Unterhose mal gehabt hatte, Blumen, Wassertropfen oder Bären. Es waren einfach nur noch Farbflecken. Dabei warst du immer so ein reinliches und ordentliches Kind, im Gegensatz zu deiner Schwester. Du warst diejenige, die ihre weiÃen Turnschuhe geschrubbt hat, wenn nur ein erbsengroÃer Dreckfleck drauf war. Ich habe mich gefragt, wofür du so fleiÃig studiert hast, wenn du nun so ein Leben führst. Mein Liebes, meine Tochter. Als ich dann mal drüber nachgedacht habe, ist mir wieder eingefallen, wie gern du immer schon kleine Kinder hattest. Wenn du etwas zu essen hattest, was du gern mochtest, hast du es ohne zu zögern einem Nachbarskind gegeben, das begehrlich guckte. Wenn du ein anderes Kind hast weinen sehen, bist du schon als kleines Mädchen hingelaufen und hast es getröstet und umarmt. Das alles hatte ich ganz vergessen. Ich war darüber bestürzt, wie du rumläufst, in alten Kleidern und mit zurückgebundenem Haar, so damit beschäftigt, die Kinder zu erziehen, dass du gar nicht mehr dran dachtest, wieder arbeiten zu gehen. Deshalb habe ich zu dir gesagt: »Wie kannst du so leben?«, während du gerade den Schlafzimmerboden gewischt hast. Bitte verzeih mir, dass ich das gesagt habe. Auch wenn du damals gar nicht zu verstehen schienst, wovon ich rede.
Danach habe ich dich einfach nicht mehr besucht. Ich wollte dich nicht so sehen, wo du doch so eine gute Ausbildung hattest und Fähigkeiten, um die dich andere beneidet haben. Meine liebe Tochter!
Du stellst dich dem, was auf dich zukommt, du gehst es an, ohne wegzulaufen, und bewältigst dein Leben, aber manchmal war ich einfach sauer, was für ein Leben du dir ausgesucht hast.
Liebes.
Bitte vergiss nicht, dass du so viel Freude in mein Leben gebracht hast. Du bist mein viertes Kind. Ich habe es dir nie gesagt, aber streng genommen bist du mein fünftes Kind. Vor dir gab es eins, das gleich bei der Geburt in die andere Welt gegangen ist. Deine Tante hat das Kind auf die Welt geholt und mir gesagt, dass es ein Junge ist, aber das Baby hat nicht geschrien. Und die Augen hat es auch nicht aufgemacht. Es war tot geboren. Deine Tante hat gesagt, sie
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