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Als ploetzlich alles anders war

Als ploetzlich alles anders war

Titel: Als ploetzlich alles anders war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Dierks
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zugehalten? Warum hatte sie sich nicht irgendwie bemerkbar gemacht, um dieser dummen, taktlosen Kuh den Mund zu stopfen?
    Aber nein, sie hatte da stehen bleiben und wie unter Zwang alles mitanhören müssen. Doch so hatte sie wenigstens mal erfahren, was die anderen wirklich über sie dachten.
    Louisa hatte sich in ihrem Zimmer verkrochen und nicht reagiert, als Mama ihr etwas später gefolgt war, sondern so getan, als ob sie schlief. Dann hatte sie die halbe Nacht in ihr Kissen geweint und kaum ein Auge zugemacht. Immer wieder hatte sie in ihren kleinen Handspiegel geschaut und allmählich hatte sich ihr schmales, blasses Gesicht in eine Fratze verwandelt, bis sie selbst sah, was Veronika gesehen hatte. Louisa hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen. Irgendwann konnte sie nicht einmal mehr weinen. Wo war die gute Fee aus dem Märchen, die einem drei Wünsche erfüllte? Louisa hätte schon einer gereicht!
    Irgendwann in der Nacht hatte sie Schritte in der Diele gehört und jemand hatte eine ganze Weile vor ihrer Tür gestanden, Louisa hatte einen Schatten gesehen, der den schmalen Streifen Licht unter der Tür in zwei Teile schnitt. Bestimmt war das Mama gewesen, die sich Sorgen machte und sich fragte, warum Louisa gestern Nachmittag ohne irgendeine Erklärung in ihrem Zimmer verschwunden war. Sie hatte sich nicht einmal mehr blicken lassen, als Veronika gegangen war. Vielleicht wusste Mama ja auch Bescheid oder ahnte zumindest, dass Louisa sie belauscht hatte. Und wenn– Louisa wollte nicht darüber sprechen. Es wäre peinlich und überflüssig. Ihre Mutter würde zwar versuchen, die Sache vor Louisa herunterzuspielen – du kennst doch Veronika, sie übertreibt und dramatisiert gern, man darf sie nicht allzu ernst nehmen –, trotzdem würde Louisa keines ihrer Worte mehr vergessen können. Sie war hässlich, vielleicht sogar abstoßend, sie sprach, als hätte sie den Mund ständig voller Spucke, und garantiert empfand das nicht nur Veronika so.
    Plötzlich musste Louisa an Tinka denken. Mit ihr hätte sie reden wollen, Tinka hätte verstanden, was in Louisa vorging, denn sie wusste selbst, was es hieß, behindert zu sein, und kannte diese Gefühle von Angst und Verlorenheit. Louisa überlegte, ob sie Tinka anrufen sollte, traute sich aber nicht und beschloss, bis Montag zu warten. Doch als sie am Montagmorgen in den Bus stieg, war Tinkas Platz leer.
    » Tinka ist krank«, erklärte Bernd mit ernster Stimme.
    » Was hat sie denn?«, fragte Louisa betroffen.
    » Da, immer doller Husten«, sagte Bernd und klopfte mit der flachen Hand auf seine Brust. Dann beachtete er Louisa nicht mehr und verstummte ganz. Heute fuhr nicht Stiepe den Bus, sondern ein anderer, älterer Mann, der mürrisch wirkte und sehr einsilbig war. Auch Bernd war während der ganzen Fahrt erstaunlich still und blieb ohne jede Hampelei auf seinem Platz sitzen. Louisa musste sich eingestehen, dass ihr Tinka fehlte, dass sie Bernds Geplapper und Stiepes Sprüche vermisste, obwohl die drei sie bis jetzt nur genervt hatten.
    Sie bedauerte, dass sie bisher so abweisend zu Bernd und Tinka gewesen war. Auch wenn sie sich anfangs gegen den Gedanken gesträubt hatte, hier empfand sie inzwischen doch eine gewisse Zugehörigkeit, während sie sich in ihrer Klasse mehr und mehr wie ein Fremdkörper fühlte.
    Nachdem Louisa vor einigen Tagen den Wunsch geäußert hatte, weiter vorn zu sitzen, weil sie dort angeblich besser sah, hatte der Hausmeister ihr direkt neben der Tafel ein Pult aufgestellt. Natürlich konnte Louisa von ihrem neuen Platz aus wirklich besser sehen, doch der wahre Grund für den Platzwechsel war, dass Louisa ihren Freundinnen nicht so nah sein wollte. Zu viel Nähe mied sie inzwischen generell. Manchmal zuckten ihre Glieder unkontrolliert, manchmal rann ihr ein Spuckefädchen aus den Mundwinkeln, manchmal zitterten ihre Hände. Sie wollte nicht, dass andere das alles so hautnah miterlebten.
    Fee und Hatice hatten ihr wortlos dabei zugeschaut, wie sie ihre Sachen zusammengepackt hatte und dann zu ihrem neuen Platz gerollt war.
    Niki hatte ihr als Einzige ein trauriges » Schade « hinterhergeseufzt.
    Während des Unterrichts studierte Louisa verstohlen ihre Gesichter und versuchte, darin zu lesen. Einerseits wünschte sie, die beiden würden auf irgendeine Weise um ihre Freundschaft kämpfen. Andererseits hatte sie ja genau davor Angst. Was hatte sie ihnen denn als Freundin noch zu bieten? Würde sie ihnen nicht irgendwann nur noch

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