Als ploetzlich alles anders war
Eisprinzessin, das beliebteste Mädchen der Klasse. Mit so einer befreundet zu sein, steigerte automatisch den eigenen Wert.
Und jetzt, was war jetzt, fragte sich Teri. War Louisa ihnen jetzt peinlich? War sie ihnen so lästig, dass sie sogar eine wie diese lahmarschige Niki Louisa vorzogen?
Inzwischen war Louisa abgeholt worden. Dort, wo sie gestanden hatte, waren zwei dicke Furchen von den Rädern ihres Rollstuhls im Schnee zu sehen.
Teri wusste, dass Louisa deshalb früher Schluss gehabt hatte, weil sie vom Sportunterricht befreit war, doch bis die anderen kämen, war noch eine gute Stunde Zeit. Aber Teri würde auf sie warten. Wenn sie die Sache nicht heute noch durchzog, war es vielleicht irgendwann zu spät.
Weil ihr kalt war, lief sie ein Stück die Straße entlang, ohne genau auf den Weg zu achten, bis sie plötzlich ohne erkennbaren Grund heftiges Herzklopfen bekam. Aber dann realisierte sie, dass nicht weit von hier der Unfall passiert war. Teri war da nie wieder gewesen. Immer wenn sie auch nur in die Nähe kam, fing nicht nur ihr Herz an wie verrückt zu rasen, sondern Teri bekam auch puddingweiche Knie. Sie wich dann immer auf irgendwelche anderen Wege aus, die häufig viel länger und umständlicher waren. Auch heute ging sie nicht weiter, sondern trottete schnell wieder zu ihrem alten Platz vor der Schule zurück.
Teri trat von einem Fuß auf den anderen und grub ihre Hände so tief, wie es nur ging, in die Taschen ihres Parkas, weil ihr so kalt war. Plötzlich war ihr so sehr nach Heulen zumute, dass sie wünschte, Jette wäre ihr heimlich gefolgt und würde aus irgendeinem Versteck gleich auf sie zustürzen und sie in die Arme nehmen. Dann würde sie Jette bestimmt alles erzählen. Manchmal sehnte sich Teri so sehr danach, den ganzen Mist endlich loszuwerden, und vielleicht wäre Jette die Einzige, die sie nach einem solchen Geständnis nicht hassen würde.
Teri hörte die Schulglocke, dann brach der bei Schulschluss übliche Lärm los.
Es schneite jetzt stärker, die Straßen waren so glatt, dass einige der jüngeren Schüler die vereisten Flächen als Rutschbahn benutzen und Einzelne dabei kreischend auf den Hintern flogen.
Nach ein paar Minuten tauchten Fee, Hatice und Niki auf. Sie gingen untergehakt und lachten. Das versetzte Teri so in Wut, dass sie sich auf die Mädchen stürzte wie ein Racheengel.
Louisa Eisprinzessin
Louisa tastete sich an der Wand entlang über die Sessellehne zur Couch, in die sie sich einfach reinplumpsen ließ. Sie war froh, dass sie endlich mal wieder allein zu Hause war. Seit dem Unfall war sie das nur selten. Besonders Mama hatte immer Angst, Louisa käme allein nicht richtig klar, könnte fallen, sich verletzen und dann vielleicht stundenlang hilflos in der Wohnung liegen, bis es vielleicht zu spät war. Dabei klappte vieles besser, wenn sie sich unbeobachtet fühlte und nicht darauf achten musste, wie sie sich bewegte. Sie konnte lachen oder weinen, ganz wie sie wollte, ihren Gefühlen und Gedanken einfach freien Lauf lassen.
Ihr ging schon wieder so viel durch den Kopf. Sie dachte an Fee und Hatice, dachte an den letzten Sommer, der für Louisa so schnell zu Ende gewesen war, als hätte das Jahr ihn einfach übersprungen. Sie dachte an das Gespräch mit Frau Fuchs und geriet bei der Möglichkeit, sie könnte ihr wirklich Schwierigkeiten machen, gleich wieder in Panik. Nicht jede Oberschule nahm Behinderte auf, und wenn sie dann auch noch schlechte Noten hätte, könnte sie es ganz vergessen. Sie würde schließlich auf eine von diesen Freakschulen gehen müssen, auf die bestimmt auch Tinka und Bernd gingen, weil keine andere sie haben wollte. Dann werde ich mir eben noch mehr Mühe geben, dachte Louisa. Dieser blöden Kuh würde sie beweisen, was in ihr steckte. Sie war zwar in fast allem viel langsamer als früher, aber sie war nicht plötzlich weniger intelligent, nur weil sie mehr Zeit brauchte, um etwas zu begreifen. Vielleicht müsste sie nur eine besondere Technik entwickeln, mit der ihr das Lernen leichterfiel.
Louisas Blick fiel auf die Fernsehzeitung. Das Cover zeigte diese blutjunge Sängerin, die über Nacht zu einem Superstar geworden und im Augenblick ständig in den Schlagzeilen war. Sie sah Louisa ein bisschen ähnlich und strahlte genauso selbstbewusst und fröhlich in die Kamera wie Louisa früher, wenn man sie fotografiert und einmal auch für eine Kinderfernsehsendung gefilmt hatte. Sie wollte das nicht sehen, wollte nicht erinnert
Weitere Kostenlose Bücher