Als ploetzlich alles anders war
fluchtartig das Wohnzimmer.
» Hallo, Teri«, rief Veronika verwundert, als Teri wortlos an ihr vorbeigerauscht und im Bad verschwunden war. Mama zuckte die Schultern.
» Sie ist dreizehn«, sagte sie mit einem kleinen Lächeln.
» Das erklärt natürlich alles«, erwiderte Veronika, dann wandte sie sich Louisa zu, die auf dem Sofa saß und hoffte, dieser Augenblick ginge ganz schnell vorbei. Früher hatte es ihr sehr gefallen, im Mittelpunkt zu stehen. In Momenten wie diesem wäre sie jetzt aber lieber unsichtbar.
» Hej, Eisprinzessin«, rief Veronika überschwänglich, beugte sich über Louisa und schlang die Arme um ihren Hals. » Du wirst von Jahr zu Jahr hübscher.«
Louisa lächelte verkrampft. Sie mochte Veronika nicht besonders und hatte nie verstanden, warum Mama so lange schon mit ihr befreundet war. Glücklicherweise besuchte Veronika sie nicht oft.
» Du siehst auch gut aus, Veronika«, sagte Louisa freundlich. Sie wusste, wie wichtig es für Veronika war, jung und fit zu wirken, und hoffte, das Kompliment lenkte von ihren eigenen Problemen ab.
» Dann setzt euch jetzt bitte an den Tisch«, sagte Mama und rief nach Teri, die jetzt schon über eine Viertelstunde im Badezimmer war.
Louisa stützte sich an der Sofalehne ab, als sie sich erhob. Sie spürte Veronikas verstohlene Blicke, schaute sie aber nicht an, weil es sie beim Laufen noch mehr verunsichert hätte. Vom Sofa bis zum Esstisch waren es nur ein paar Meter und Louisa konnte sich überall festhalten, sodass sie nicht in die Verlegenheit kam, wie ein Trampeltier zum Tisch zu stampfen.
» Das klappt doch schon ganz prima«, sagte Veronika, als Louisa sich auf ihren Stuhl sinken ließ. Als Teri zurückkam und sich Louisa gegenüber an den Tisch setzte, war ihr anzusehen, dass sie wieder geweint hatte.
» Wo ist denn eigentlich euer Boss?«, fragte Veronika und ließ forschend ihre Blicke über die Gesichter der anderen schweifen.
» Oh, der hat im Augenblick so viel zu tun, dass er kaum noch zu Hause ist. Möchtest du etwas Marzipantorte, Veronika?«
Im Lügen war Mama noch nie besonders gut gewesen, dachte Louisa. Aber sie fand es völlig okay, dass ihre Mutter Veronika nichts von den Problemen mit Papa erzählte, der jetzt immer häufiger bei einem Freund übernachtete. Das ging niemanden etwas an.
» Schmeckt lecker, deine Torte«, sagte Veronika.
Als es richtig dunkel draußen war, zündete Mama die erste Kerze im Adventskranz an. Das Radio spielte Weihnachtsmusik, sie plauderten über dies und das und dann fand Louisa es eigentlich doch noch ganz schön. Zumindest war es nicht so verkrampft, wie sie befürchtet hatte.
Teri verschwand wie üblich unter einem fadenscheinigen Vorwand in ihrem Zimmer und Louisa musste auf die Toilette, was in gewisser Weise auch eine Flucht war, weil sie befürchtete, das Gespräch würde sich nun wieder ganz auf sie konzentrieren.
Schon beim Verlassen des Badezimmers hörte Louisa Veronikas laute Stimme, die das Geräusch ihrer unbeholfenen Schritte völlig übertönte.
» Mach dir doch nichts vor«, rief Veronika provozierend, die natürlich keine Ahnung hatte, dass Louisa inzwischen dicht hinter der Tür stand und lauschte.
» Ich mache mir nichts vor, wie kommst du darauf?«, rief Mama verwirrt.
» Wo ist dein Mann wirklich?«
» Ich sagte dir doch, er hat viel zu tun«, erwiderte Mama nervös.
» Am ersten Advent?«
Mama räusperte sich.
» Es ist nicht so einfach für ihn, Veronika«, antwortete sie nachdenklich und seufzte. » Er kommt mit der Situation viel schlechter klar als ich. Eigentlich kommt er gar nicht damit klar. Er kann es einfach nicht akzeptieren, dass Louisa nicht mehr so wie früher ist.«
» Soll ich mal ehrlich sein«, sagte Veronika. » Ich verstehe ihn. So schlimm habe ich es mir nicht vorgestellt. Es ist ja nicht allein die Tatsache, dass sie im Rollstuhl sitzt, sie ist völlig verändert, spricht ganz anders und selbst ihr Gesicht hat so einen harten, starren Ausdruck bekommen, ich kann sie gar nicht anschauen, ohne dass es mir das Herz zerreißt. Wo sie doch früher so ein bildhübsches Mädchen war, und jetzt?«
» Als wenn das entscheidend wäre«, rief Mama aufgebracht.
» Für ihren Vater offenbar schon, außerdem solltest auch du den Tatsachen ins Auge blicken und dich nicht um die Wahrheit herumlügen. Deine Tochter ist schwerbehindert, dein Mann hat das längst begriffen, aber du weigerst dich!«
Überfordert
Warum hatte sie sich nicht die Ohren
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