Als wäre es Liebe
der älteren Frauen, auf sich zogen, sondern Friedrich, als er anfing zu schnattern. Bald schon hatte er eine ganze Schar von Enten neben dem Boot versammelt, sie reckten ihm die Köpfe entgegen. Sie war sich sicher, dass sie kamen, weil ein Mensch, der sich ihnen zuwandte, immer ein Versprechen auf Brot war, sie war sich auch sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis die Enttäuschung sie veranlasste, umzukehren und zum nächsten Boot zu schwimmen. Aber seltsamerweise taten sie es nicht. Er hatte keine Scheu, mit den Enten zu schnattern und zu quaken. Einige der Damen fanden ihn offenbar sehr amüsant. Sie schauten ihm zu und warteten darauf, dass sich ihre Blicke kreuzten, und wäre er nicht so auf die Enten konzentriert gewesen, hätte er mit Sicherheit das eine oder andere Lächeln eingefangen. Kaum dass der Diesel wieder angelassen wurde, hatte er auch schon die Dame aus Worms an seiner Seite. »Ist es nicht wunderschön? Jeden Sommer mache ich diese Fahrt auf dem Neckar, und jedes Mal wieder bin ich überwältigt von der Schönheit dieser Landschaft. Das Neckartal ist wirklich einzigartig. Finden Sie nicht auch?« Sie sah ihn an. »Sonst habe ich immer Brot dabei, ich weiß nicht, warum ich es heute vergessen habe. Glauben Sie, Enten mögen auch Kekse?«
Friedrich antwortete nicht.
»Sie sprechen deren Sprache?«, fragte die Dame aus Worms.
»Ja«, sagte sie, weil Friedrich den Enten nachschaute.
»Worüber sprechen die?«, fragte die Dame.
»Wissen Sie«, sagte sie, »das ist ein Geheimnis zwischen ihm und den Enten.«
»Ich verstehe«, sagte die Dame aus Worms und schaute Friedrich an wie eine Komplizin, es hätte nur gefehlt, dass sie ihm mit einem Auge zuzwinkerte.
»Und wo sind Sie zu Hause?«, fragte die Dame.
Sie wollte gerade wieder für ihn antworten, aber Friedrich ließ auf einmal von den Enten ab, wandte sich der Frau zu und sagte: »Hohenasperg.«
Die Frau schien zu überlegen, dann sagte sie: »Das ist bei Stuttgart, oder? Wie lange leben Sie schon dort?«
»Sehr lange schon, ich glaube, mehr als vierzig Jahre«, sagte er. Und sie lachte.
»Das ist ja nichts«, sagte sie, »wissen Sie, ich lebe seit achtundfünfzig Jahren in Worms und habe die Stadt nur während des Krieges für ein paar Wochen verlassen. Und wissen Sie was? Ich werde, so Gott will, auch in Worms sterben. Lebenslänglich Worms. Waren Sie schon mal in Worms?«
Er schüttelte den Kopf.
»Es gibt Menschen, die behaupten, Worms sei die älteste Stadt Deutschlands. Aber vom Dom haben Sie schon gehört, oder? Er ist einer der drei Kaiserdome, er wurde auf dem höchsten Hügel der Stadt gebaut, so konnte ihn kein Hochwasser erreichen. Ich meine, vom alten Worms ist nicht viel übrig geblieben nach den Bombardierungen, aber den Dom sollten Sie sich mal anschauen. Sie können auch mit dem Schiff hinfahren, Worms liegt am Rhein.«
»Er ist das erste Mal auf dem Wasser«, sagte sie, was die Dame aus Worms offenbar nicht glauben wollte. »Wie alt sind Sie, wenn ich fragen darf?«
Er nahm seine Finger zu Hilfe, was einem hilflosen Unterfangen glich, weil er nur zehn hatte und anfing, sie einzeln abzuzählen, und nach der Zehn wieder von vorne anfing. »Sie sind mir ein Spaßvogel«, sagte die Frau. »Lassen Sie mich raten!« Sie beugte sich etwas zu ihm hin, dann wieder zurück und musterte ihn. »Zweiundsechzig«, sagte sie. Er nickte. Sie hatte ihn um sieben Jahre jünger gemacht. Aber war das wichtig? »Und in den zweiundsechzig Jahren haben Sie nie ein Boot bestiegen?«
Die Tür neben ihr geht auf, und eine Frau mit ihrem kleinen Kind tritt aus der Kajüte. Enten müssen eine große Anziehungskraft auf ältere Frauen und Kinder ausüben. Der kleine Junge hält ein Brötchen in der Hand, das eine Ende ist vom Ketchup verfärbt. Die beiden stellen sich an die Reling, und die Mutter zeigt dem Jungen, wie man das Brot entengerecht formt, indem sie ein Stück abreißt und es zwischen ihren Fingern zu einem Kügelchen dreht. Einzelne Enten haben das Gefüttertwerden zu einer artistischen Kunst erhoben, sie schaffen es, die Kügelchen, sofern sie halbwegs präzise geworfen werden, mit ihren Schnäbeln aus der Luft aufzufangen. »Die sind ja ganz ausgehungert«, sagt die Mutter.
Er hatte in seiner Zelle zwanzig Laibe Brot gehortet, versteckt unter seinen Kleidern im Schrank. Als die Beamten mal wieder kamen, um seine Zelle auf den Kopf zu stellen, haben sie sich über all das Brot gewundert und es ihm weggenommen.
Als der
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