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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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Schubladen seines Schreibtisches, ich habe sogar die Bücher, von denen es bei uns sehr viele gab, aufgeschlagen und zwischen den Seiten nach Fotos gesucht. Aber ich habe keine weiteren gefunden. Weder Kinderfotos meiner Eltern noch Fotos meiner Großeltern, weder Fotos, auf denen meine Eltern als Paar zu sehen waren, noch Fotos von unserem Urlaub. Zu dritt sind wir an die Nordsee gefahren, weil mein Vater sagte, das Kind müsse mal das Meer sehen und im Sand buddeln. Das war im August 1977. Ich war sieben. Ich erinnere mich, dass mein Vater das Auto gepackt hatte, er wollte früh los, weil es ein weiter Weg war, aber meine Mutter schlief noch. Ich weiß noch, dass ich schon Schuhe und Jacke anhatte und vor ihrem Bett stand. Ich sagte nichts, stand nur da, sah sie an und wartete, dass sie aufwachte. Sie musste es gespürt haben, sie schlug die Augen auf, kurz, und drehte mir dann den Rücken zu.
    »Ist sie wach?«, hörte ich meinen Vater rufen. Er kam in ihr Zimmer. Er sah mich an, dann meine Mutter und sagte, ich solle mich schon mal ins Auto setzen.
    Auf dem Weg nach draußen hörte ich, wie sie stritten. »Das kannst du nicht machen, der Junge freut sich schon seit Tagen.« Ich weiß nicht, was meine Mutter sagte, aber es war das einzige Mal, dass ich erlebt habe, wie mein Vater meiner Mutter gegenüber laut wurde. Ich setzte mich ins Auto, dann sah ich meinen Vater aus dem Haus kommen und wenig später auch meine Mutter. Sie trug ihre zu große Sonnenbrille, setzte sich auf den Beifahrersitz und sprach während der ganzen Fahrt kein Wort.
    Mein Vater hatte ein Zimmer in einem Gästehaus für uns gebucht. Es lag etwas abseits des Strandes und hatte nur ein großes Zimmer. Meine Eltern mussten in einem Bett schlafen und ich daneben auf einer Liege, was mir aber offensichtlich weniger ausmachte als meiner Mutter. Sie könne so nicht schlafen, sagte sie und schickte meinen Vater zur Rezeption, um nach einem anderen Zimmer zu fragen. Aber es war Sommer und wir hatten froh sein können, so kurzfristig überhaupt noch ein Zimmer bekommen zu haben.
    Ich erinnere mich, dass meine Mutter am Strand meist auf der Liege lag und sich ein Buch vors Gesicht hielt, während mein Vater anfangs noch mit mir Sandburgen baute und mir das Schwimmen beizubringen versuchte. Am dritten Tag schickte er mich los und sagte, ich solle mal mit anderen Kindern spielen. Und ich trottete los mit meinem Eimer und der Plastikschaufel, grub Löcher in den Sand und ließ sie von den Ausläufern der Wellen fluten. Es machte mir nichts aus, mich allein zu beschäftigen. Bald schon machte ich lange Spaziergänge am Strand. Obwohl ich stundenlang fortblieb, blickte mein Vater nur kurz hinter seinem Buch hervor, als ich mich neben seine Liege in den Sand setzte. »Gefällt’s dir am Meer?«, fragte er.
    Ich denke darüber nach, ob es nicht doch irgendwo ein Foto gibt von uns am Strand, und versuche mich zu erinnern, ob mein Vater seinen Fotoapparat dabeihatte. Aber ich weiß es nicht mehr. Ich frage mich, ob meine Mutter noch Erinnerungen hat an unseren Urlaub. Ihr Tagebuch oder wie man dieses marmorierte Buch nennen soll, fängt erst später an, viel später. Aber zumindest ich habe Erinnerungen. Von meiner Mutter, wie sie in der Sonne liegt und wenn es ihr zu heiß wird, ins Meer steigt und weit hinausschwimmt, weiter als die anderen, so weit, dass ich sie fast aus dem Blick verliere. Ich hatte nicht gewusst, dass meine Mutter eine so gute Schwimmerin war. Aber es wunderte mich nicht, weil meine Mutter, wie mir schien, alles konnte und darin so anders war als ich oder mein Vater. Am dritten Tag ging sie zur Rezeption, weil sie neben mir und meinem Vater nicht schlafen konnte. Fünf Minuten später kam sie aufs Zimmer zurück und sagte, wir könnten umziehen. Die nächsten zwei Nächte schliefen wir dann in einer Gästewohnung mit zwei Zimmern, einem Balkon und Blick aufs Meer. Mein Vater fragte nicht, wie sie das geschafft hatte. Und meine Mutter sprach auch nicht darüber. Ich weiß noch, wie er einmal zu mir sagte: »Wir können ihr beide nicht das Wasser reichen.«
    Unsere Woche an der Nordsee wurde von einer Todesnachricht überschattet. Mein Vater hatte sich am Kiosk eine Zeitung gekauft und sie auf dem Weg zum Strand überflogen. Nach fünf Tagen brachen wir unseren Urlaub ab und fuhren zurück nach Tübingen. Mein Vater wollte auf keinen Fall die Beerdigung verpassen. Wie ich später erfuhr, war Ernst Bloch, den er damals sehr verehrte, im

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