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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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Alter von zweiundneunzig Jahren gestorben. Einen Tag nach der Beerdigung sagte mein Vater, dass meine Mutter weggefahren sei und auch so bald nicht zurückkomme. »Sie hatte es versucht mit der Familie«, sagte er Jahre später, »aber sie brauchte ihre Freiheit. Ich weiß, dass es nicht leicht ist für ein Kind, ohne Mutter aufzuwachsen. Aber du darfst sie dafür nicht verurteilen. Sie hat dich nicht vergessen.« Gelegentlich bekamen wir Briefe von ihr, und meistens dachte sie auch an meinen Geburtstag und schickte mir Bücher. Zum achten schickte sie mir die Die Apotse kommen . Es war die Geschichte von kleinen Stofftierchen, die Augen hatten wie Knöpfe, Zumpelfransen, riesenrote Nasen und sehr breite Münder. Sie wurden von der Polizei in einem vergitterten Wagen ins Gefängnis gebracht. Ich erinnere mich bis heute an die Stelle im Text: »Daran kannst du sehen«, stand da, »dass man nicht unbedingt was Schlimmes angestellt haben muss, um es mit der Polizei zu tun zu kriegen.« Die Apotse kommen unschuldig ins Gefängnis. Und über Strafen, stand da weiter, könne man auch eine Menge sagen, das sollte ich mit meinen Freunden besprechen, ob einer ausgerechnet durch Strafen wirklich besser werde. Als ich fünfzehn war, sollte ich sie in Berlin besuchen, was zum Streit führte mit meinem Vater, aber dann verbrachte ich im Sommer doch eine Woche bei meiner Mutter. Und als ich mit der Schule fertig war, zog ich nach Berlin und schrieb mich an der Freien Universität ein. Ich sah meine Mutter jetzt öfter. Zu meinem Vater hatte sie kaum noch Kontakt. Er lebte als Anwalt in Frankfurt und versuchte sich in den Jahren an verschiedenen Frauen, ohne dabei wirklich glücklich zu werden, wie mir schien. Wir telefonieren und ich besuche ihn jedes Jahr. Auch mein Vater spricht dann viel über die Zeit. Als hätte ich es nicht schon hundertmal gehört, Burn Kaufhaus Burn, erzählt er immer wieder von brennenden Kaufhäusern und dem Republikanischen Club in Tübingen, wo offenbar, das hatte ich mir gemerkt, ein Holzklotz stand, in dem das Messer einer Guillotine steckte. Dass er so viel davon spricht, da bin ich mir sicher, hat vor allem mit meiner Mutter zu tun. Es war die Zeit, in der sie ihn brauchte, in der sie etwas hatten, was sie aneinanderband. Blöderweise kam ich dann. Und einer musste sich um mich kümmern. Er fragt mich jedes Mal nach meiner Mutter. Ich glaube, er hat sie wirklich geliebt. Irgendwann rief sie ihn an, weil er ihr helfen sollte, für einen Gefangenen eine Ausführung zu erklagen. Wahrscheinlich war er sogar froh, dass sie seine Hilfe brauchte. Nach all den Jahren.

An ihrem Platz auf dem Ausflugsboot, im Schutz der Kajüte, zieht der Wind vorbei. Sie kann ihn nur erahnen, weil die Frau, die ihr gegenüber an der Reling sitzt, ab und an ihre Haare aus dem Gesicht streicht und sich den Schal noch enger um den Hals wickelt. Es müsste noch eine zweite Schleuse kommen. Hinter einer Flussbiegung, damals zeigte Friedrich mit dem Finger in die Richtung und nickte. Auch jetzt wartet sie auf nichts anderes. Die Landschaft nimmt sie kaum wahr. Sie konzentriert sich auf das Geräusch des Motors, wartet darauf, dass sich der Takt des Diesels verlangsamt und das Boot an Fahrt verliert. Sie ist kurz davor, ihren Platz aufzugeben und sich auf die Seite an die Reling zu setzen, als das Boot aufhört zu stampfen und austrudelt. Sie fahren nicht direkt in die Schleuse ein, das Boot stellt sich quer, treibt flussabwärts, es dreht sich, in dieser Stille nähern sich einige Enten. Wahrscheinlich sind sie es gewohnt, dass die Schiffe hier wartend treiben, wahrscheinlich haben sie auch schon längst einen Blick für die Ausflugsboote entwickelt, auf denen ältere Frauen sitzen und Brotkrumen fallen lassen.
    Kaum dass das Dröhnen des Motors verhallt war, kamen sie angeschwommen, zu viert, zwei weitere in kleinem Abstand hinterher. Wie im Reflex griff eine der älteren Frauen, die neben ihr saß, in ihre linke Jackentasche und zog eine kleine Tüte hervor. Sie holte ein paar Kanten und Stücke Brot heraus, riss sie auseinander, drehte sie zwischen den Fingern zu Kügelchen und warf sie über Bord. Sogleich tauchten am Ufer ein paar weitere Enten flügelschlagend in den Neckar ein. Wie an einer Schnur gezogen, schoben sie sich auf direktem Weg durchs Wasser. Offenbar gehörte eine Tüte mit altem Brot zur Ausrüstung einer erfahrenen Ausflugsboottouristin. Aber es waren nicht die Enten, die alle Aufmerksamkeit, vor allem die

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