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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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gefiel Antoney in diesem reiferen, entspannteren Selbst. Er kam gerne zu dieser Carla nach Hause und küsste ihre warme Wange – auch wenn er nicht jeden Tag so empfand. Sie legte den Kindermantel auf den Schoß und befestigte die Kordel von innen. »Gehst du morgen zu Oscar? Wir könnten ja später vorbeikommen.« Beim Klang seines Namens lag immer noch eine kurze, scharfe Spannung in der Luft, aber die Kirche anders zu nennen, schien auch nicht richtig. Antoney hatte nichts von ihm gehört und die Hoffnung inzwischen aufgegeben.
    »Ich geh um zwei zu Riley. Er will mit mir ein Interview für seine …«
    »Große Güte«, fiel ihm Carla ins Wort. »Wenn Riley nicht so gehemmt wäre, könnte er glatt als Talkmaster arbeiten.«
    Antoney fuhr unbeirrt mit seiner Arbeit fort. Er hatte an diesem Tag etwas Wichtiges erfahren und bisher vergessen, es Carla gegenüber zu erwähnen. Sie stand auf, ging zur Theke und machte sich einen heißen Tee. Er lehnte dankend ab. Als sie mit dem Geschirr ihrer Mutter herumklapperte, war es mit seiner Konzentration endgültig vorbei. Toreth nahm einen festen Platz in ihrem Alltag ein, sie war durch Geschenke präsent (eine Wanduhr, eine Tischdecke für die Essecke, Wäsche) oder ihre Besuche, bei denen sie es nie versäumte, darauf hinzuweisen, dass man ein Kind ja wohl nicht auf einem Boot großziehen könne. Es nervte Antoney, dass man in das Leben Fremder verstrickt wurde, nur weil man deren Kinder geheiratet hatte. Da hatte er sich endlich seiner eigenen Mutter mit ihren Sticheleien und Klagen entzogen – Florence hatte für die Sache mit dem Boot auch kein Verständnis und kam selten an Bord –, um dann im Dunstkreis einer anderen Mutter zu landen. Er war am nächsten Tag nicht mit Riley verabredet, aber Carla wollte den Tag mit ihrer Mutter verbringen, und Antoney ertrug deren Anwesenheit im Studio nicht. Er legte sein Notizbuch auf die Seite und lehnte sich in die Kissen zurück. Nun fiel ihm auch wieder ein, was er an diesem Tag erfahren hatte. Nervös sah er zu Carla. Wieder sprach sie zuerst, mit erzwungener Beiläufigkeit: »Und, siehst du Simone diese Woche?«
    »Das fragst du mich jetzt schon zum zweiten Mal. Und wie ich schon sagte, Freitag.«
    »Ist sonst noch jemand dabei?«
    »Warum kommst du nicht mit und passt auf?«
    Sie senkte duldsam den Kopf und rührte in ihrem Tee, den sie, im Gegensatz zu ihrer Mutter, nicht zudeckte, damit er schneller abkühlte. Ihre Mutter legte immer einen Teller darauf, sodass er heiß blieb, falls sie ihn einmal vergaß. Antoney hatte gehört, wie sie sich deswegen gezankt hatten.
    »Sie kann Kinder nicht leiden«, fuhr Carla fort. »Deshalb kommt sie ja auch nie hierher. Ich hasse, wie sie Denise angurrt. So falsch.«
    »Angurrt?«
    »Ja, sie gurrt.«
    Aus dem Schlafzimmer kam ein Husten. Im Sommer war das Leben auf dem Wasser wunderbar, dann lagen sie an Deck und hatten eine Sonne ganz für sich allein. Es war schön, fort von den dreckigen Straßen zu sein, dem Müll, den überfüllten Cafés, in einem anderen Zeitmaß zu leben und mit anderen Bootsbesitzern, die vorbeifuhren oder eine Weile in der Nähe anlegten, entspannt zu plaudern. Es war ein friedliches Nirgendwo. Aber im Herbst, im Winter lebten sie in einem eisigen Durchzug. Denise war oft krank. Sie schnieften und niesten sich durch die Wintermonate. Noch dazu fürchtete sich Carla vor den unaussprechlichen Spinnen, die sich in Massen hinter den Schallplatten drängten. Das Husten wiederholte sich nicht.
    »Was hattest du gesagt?«, fragte sie.
    »Ich bin heut Morgen Ric begegnet.«
    »Echt? Wie geht’s ihm?«
    Ein zweites Husten. Eine Pause, eine Hustenlawine, dann ein Weinen. Carla sah Antoney erwartungsvoll an, doch sie war schon auf den Beinen. »Ich gehe.« Zehn Minuten Trösten, Murmeln, klagende Geräusche, dann trat sie wieder durch den Vorhang, mit Denise auf dem Arm, ihrer unbändigen, dickbeinigen Zweijährigen, die bei der Geburt ein ganzes Orchester dirigiert hatte.
    An jenem bemerkenswerten Sonnenuntergangabend anno 1969, nachdem Antoney die Silver ohne jede Vorwarnung von Greenford weggesteuert und gegenüber der Kensal Green Gaswerke festgemacht hatte, hatte Denise, als sie im Krankenhaus in Carlas Armen lag, als Erstes heftig gezuckt und mit den winzigen Händchen in der Luft herumgewirbelt. Carla kannte die Bewegung, sie hatte sie in ihrem Bauch gefühlt. »Hallo, kleines Geheimnis«, hatte sie fassungslos geflüstert, Antoney an ihrer Seite. »Wie

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