Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
Vom Netzwerk:
selbst versichern. Er hatte Lust auf einen zweiten Joint, beschloss aber, sicherheitshalber am Boden zu bleiben, falls es ihn umwarf. Eine Stimme, bloß eine Stimme. Er hatte sie schon gehört. Sie hatte sich aus Rileys Tinte erhoben.
    Er legte sein Bodenkissen neben die Stereoanlage und holte mit der Fingerspitze eine schmale Staubbahn davon herunter. Die braun schimmernden Wände beugten sich vor, um zu lauschen. Die Augustspinnen falteten sich in ihre Netze. Die Platanen atmeten ein, die Kreuzdornbüsche aus. Die Tauben auf den Balkonen horchten. Ganz zum Schluss prüfte Lucas noch, ob die Tür verschlossen war, denn die Vorstellung, dass Antoney mit seinem Hut in die Kajüte trat, war allzu lebendig. Das Boot schaukelte ein wenig, als er sich setzte. Er wartete, bis es wieder ruhig lag. Schließlich verweilte sein Finger auf der Taste. Fühlte es sich so an, eine Bombe zu zünden?
    Erst kam das laute Surren einer alten Kassette. Ein ruhiger, unbestimmter Innenraum, kein Hintergrundgeräusch – wahrscheinlich Rileys Arbeitszimmer. Eine Stimme trat ein. Lucas drehte den Ton so leise, dass er die Stimme kaum hörte, doch mit wachsendem Mut steigerte er die Lautstärke. Die erste Stimme gehörte Riley, es war der gleiche Tonfall, der gleiche vornehme Akzent, obwohl sie da noch weicher, noch nicht so scharf war. Die andere Stimme, die Stimme seines Vaters, war sonor, viel tiefer als Rileys, mit einer sanften, jamaikanischen Melodie. Einen flüchtigen Moment lang war es, als hörte Jona die Stimme Jahwes, so beklommen war Lucas. Sie jagte ihm einen Schauer ein. Doch dann, ebenso rasch, wandelte sich die Stimme in etwas Alltägliches, in die Stimme eines x-beliebigen Typen, der in einem Imbiss ein paar Fladenbrote ordern oder draußen vor dem Duke of Wellington ein Guinness trinken und über die Idioten im Bezirksrat von Kensington und Chelsea schimpfen würde. Diese beiden Aspekte ließen sich schwerlich vereinen, und Lucas lauschte mit einer gewissen Verwirrung.
    Riley sagte: »Ich dachte, es dauert Jahre, bis eine Räumung in die Tat umgesetzt wird.«
    Antoney sagte: »Es ist schon Jahre her, Riley. Dabei ist die Kirche für nichts weiter gut. Diese blöden Typen haben echt zu viel Zeit.«
    »Ich könnte euch noch mehr Geld leihen.«
    »Wir können dir nicht ständig auf der Tasche liegen.«
    Riley fragte, ob Antoney schon vom Arts Council wegen seines Förderantrags gehört habe, und Antoney sagte Nein. Die Unterhaltung drehte sich weiter um derart irdische Dinge, nur hier und da gab es eine akustische Zäsur, wenn eine Zigarette angezündet oder ein Glas auf den Tisch gestellt wurde. Lucas verstand nicht, weshalb Riley gerade diese Kassette ausgewählt hatte – denn Riley hatte gewiss einen sehr guten Grund dafür. Aber schließlich kamen sie auf etwas Interessantes zu sprechen. Antoney äußerte sich frustriert über seine Situation und sagte, dass er gerne wieder reisen würde, diesmal aber in die Ferne, nach Kuba, dass Oscars Verschwinden diesen Wunsch verstärkt habe. Er erzählte Riley, was er von seinem Vater – den er Mr. Rogers nannte – über Kuba wusste, dass man das gesamte Eiland unter dem Schatten der Baumkronen durchwandern und Jamaika von Kuba aus bei klarem Wetter sehen konnte. Dabei änderte seine Stimme ihren Tonfall, sie klang nun mehr wie das ängstliche Raunen, von dem Riley Lucas bei ihrer ersten Begegnung berichtet hatte. Antoney erzählte Riley eine Geschichte über seine Großmutter aus Baracoa, über die stille, katzenhafte Lady, die ihre Sprache verloren hatte, nachdem sie ihr Geliebter verließ. Antoney sagte, es sei nur eine Vermutung, aber er nähme an, dass das Baby, das seine Großmutter damals unter dem Herzen trug, Mr. Rogers war.
    »So hast du noch nie über deinen Vater gesprochen«, sagte Riley.
    »Vielleicht liegt es an Denise. Seit sie auf der Welt ist, muss ich ständig an ihn denken.«
    Er hatte die Geschichte über seine Großmutter niemals vergessen, und wenn er auch nicht mehr von ihr wusste als das, was ihm Mr. Rogers an jenem Abend auf der Busfahrt erzählt hatte, hatte er sich ihr immer nahe gefühlt, denn auch er hatte lange voller Erwartung aufs Meer geschaut. Lucas hielt sein Ohr nun sehr nahe an den Lautsprecher. Er nahm nichts mehr wahr, nur diese tiefe, wogende Stimme.
    »Nachdem er fort war«, sagte Antoney, »hab ich mich oft bei Nacht aus dem Haus geschlichen, bin zum Strand gegangen und hab nach ihm Ausschau gehalten. Ich hab auf den Horizont geblickt und

Weitere Kostenlose Bücher